Thomas Meyer-Falk: Carmen F. aus SV entlassen

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Die heute 47 jährige Carmen saß seit rund 14 Jahren in Haft; davon die letzten vier in (nachträglicher) Sicherungsverwahrung. Diese Woche kam sie frei.

Was ist SV

Vor genau 80 Jahren, mit Gesetz vom 24.11.1933, führten die Nazis den SV-Paragrafen ein. Seitdem kann der Staat Menschen auch dann weiterhin im Gefängnis festhalten, wenn die Strafe längst abgesessen ist. In Freiburg sitzt „Lilo“ seit 15 Jahren in SV, sein Kollege J. seit über 10 – um nur zwei Beispiele zu nennen. An Frauen wird SV nur selten vollstreckt; aktuell sitzen noch zwei in Frankfurt/a.M. im Gefängnis.

Der Fall Carmen F.

An ihrem Fall lässt sich gut erkennen, wie wichtig gute anwaltliche Vertretung sein kann. 2009 hätte sie ihre Strafen verbüßt gehabt, aber schon 2008 ordnete ein Gericht nachträglich die SV an. – Etwas das gegen die Menschenrechte verstößt, wie 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied.
Ihr Fall kam bislang nicht vor dieses Gericht, denn ihr damaliger Pflichtverteidiger riet von einer Klage ab, da sowas aussichtslos sei. Im SPIEGEL ließ er sich sogar, wie Carmen mir berichtete, ohne ihre Zustimmung einzuholen, dahingehend zitieren, seine Mandantin wolle nicht raus, habe sich „auf ein Leben hinter Gittern eingerichtet“.

Nach einem empfohlenen Anwaltswechsel dauerte es rund ein Jahr, bis nun Carmen F. auf erfolgreiche Intervention des auf SV spezialisierten Münchner Verteidigers Dr. Ahmed hin frei kam.

Die SV im Fall Carmen F.

Verurteilt wegen Brandstiftung an Firmengebäuden und Raubes, kam Carmen in die baden-württembergische JVA Schwäbisch-Gmünd. Dort fügte sie sich weder dem Personal, noch Mitgefangenen. Die Südwest Presse schrieb zugespitzt „Furie in Einzelhaft“, denn Carmen soll andere gebissen und gekratzt haben.
Das unangepasste Verhalten in Verbindung mit einer unengagierten anwaltlichen Vertretung reichte aus, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen SV Erfolg hatte.

Die Isolationshaft

Erst in einer üblichen engen Knastzelle, seit Sommer 2013 in einer extra für sie erbauten 20m²-Zelle (mit Dusche, Herd und zwei Fenster), die das Land sich über 100.000 Euro kosten ließ, fristete sie seit Jahren alleine ihr Leben. Als 2010 das Anti-Folter-Komitee des Europarates die JVA Schwäbisch-Gmünd besuchte, gab die Anstaltsleitung an, dass Carmen als „besondere Vergünstigung“ trotz Isolationshaft Papier und Stifte erhalte, um malen zu können.
Glücklicherweise verfügt Carmen über eine stabile Psyche; in unserem Schriftwechsel wirkte sie stets voll orientiert, humorvoll und kritikfähig.
Etwas was ihr psychiatrische Gutachter rundweg absprachen; einige vom Gericht in den letzten Jahren beauftragte „Sachverständige“ plädierten dafür, sie in die Psychiatrie zu stecken und ihren Widerstand gegen jegliche Psychotherapie zu brechen, nämlich durch zwangsweise Vergabe von Psychopharmaka. Ausschließlich „zum Wohle von Frau F.“.
Dieser Plan scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht peu a peu die Landesregelungen in Deutschland zur Zwangsmedikation für verfassungswidrig erklärte. Aber das OLG Stuttgart stellte noch vor Monaten in den Raum, dass sobald neue Gesetze die Zwangsvergabe erlaubten, Carmen F. damit rechnen müsse, verlegt zu werden – vom Knast in die Psychiatrie.

Die Entlassung

Ende November 2013, es war frostig kalt, traf die Entscheidung in Schwäbisch-Gmünd ein. Keine Psychiatrie, keine weitere Isolationshaft, erst recht keine Folter durch Zwangsmedikation – sondern sofortige Freilassung. Von jetzt auf gleich, ohne irgendeine Vorbereitung, setzte man Carmen F. auf die Straße.
Allerdings mit umfangreichen Auflagen: elektronische Fußfessel, nachts muss sie zuhause (sie wohnt bei einem Verwandten) bleiben, Feuerzeug oder Streichhölzer darf sie nicht bei sich führen.
Land- wie Oberlandesgericht kamen – endlich – zu der Einsicht, dass von Carmen F. gerade keine hochgradige Gefahr zur Begehung schwerster Gewalttaten ausgehe.
Es darf vermutet werden: ohne den kompetenten und engagierten Beistand ihres neuen Anwaltes dürfte sie sich nun nicht in Freiheit neu orientieren, sondern säße, vollgepumpt mit Psychopharmaka, in der Psychiatrie. Denn das Land Baden-Württemberg hat, unter Führung der GRÜNEN, zwischenzeitlich eilig die Zwangsvergabe von Psychopharmaka gesetzlich neu geregelt.
Fast auf den Tag genau 80 Jahre nach Verabschiedung des SV-Gesetzes durch die Nationalsozialisten, wurde Carmen F. aus der SV in die Freiheit entlassen.

Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (Sicherungsverwahrung)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg

www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com

http://www.abc-berlin.net/thomas-meyer-falk-carmen-f-aus-sv-entlassen

 

 

Thomas Meyer-Falk: Anti-Folterkomitee besucht Knast

Am 26.11.2013 und 27.11.2013 besuchte eine Abordnung des Anti-Folterkomitees des Europarates die JVA Freiburg.

Was ist das Anti-Folterkomitee?

Das Committee for the Prevention of Torture (CPT) ist eine Einrichtung des Europarates, dem nicht nur die Staaten der EU angehören, sondern auch viele der osteuropäischen Länder, wie Russland, die Ukraine und weitere Staaten. Diese CPT soll durch Besuche in Gefängnissen, Polizeistationen und anderen der Freiheitsentziehung dienenden Einrichtungen prüfen, ob dort Inhaftierte gefoltert, oder unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden.

Wer ist Mitglied des CPT?

Die Mitglieder des CPT, die am 26.11. und 27.11.2013 die JVA Freiburg besuchten, sind Frauen und Männer aus verschiedenen Staaten des Europarates, u.a. kamen sie aus Norwegen, darunter Rechtsanwälte und Ärzte.

Der Besuch in der JVA Freiburg

Mit wohl ein Grund für den Besuch in der JVA Freiburg dürften die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte seit 2009 zu den Haftbedingungen im Bereich der Sicherungsverwahrung gewesen sein. Die Mitglieder des CPT versuchten sich einen Einblick in das Leben der Freiburger Sicherungsverwahrten zu verschaffen.
Sie besuchten die Verwahrten in ihren Hafträumen und führten mit vielen von ihnen Einzelgespräche, aber auch Gruppengespräche. So wurde auf der „Station 2“ (zum Charakter dieser SV-Station) im Gruppenraum mit mehreren Verwahrten ein gemeinsames Gespräch geführt. Anwesend waren ein Psychiater aus Norwegen und dessen Übersetzerin, sowie mehrere Verwahrte.

Diese schilderten die absolute Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit ihres Haftalltages.

Sehr interessiert hörte der Arzt sich auch die Schilderungen über zwei Mitverwahrte, Herrn K. und Herrn F. an, die aus Verwahrtensicht vollständig sich selbst überlassen werden, in ihren Zellen verwahrlosen und so verzweifelt sind, dass sie stundenlange Selbstgespräche führen. Auch Herrn H.s Bericht, wonach er vor einiger Zeit für rund vier Monate in Isolationshaft gelandet sei, weil er nach dem Tod eines Mitverwahrten Anstaltsmitarbeiter beschuldigt habe, durch die Vollziehung der SV faktisch eine Todesstrafe auf Raten zu vollstrecken, wurde mit Besorgnis zur Kenntnis genommen.

Informiert wurde das CPT auch über die unzureichende personelle Ausstattung und das Fehlen jeglicher „Außenorientierung“, so dass ein Großteil der Verwahrten faktisch auf den eigenen Tod hinter Gittern warte.

Wer wollte, hatte zuvor oder danach die Möglichkeit, auch alleine mit den VertreterInnen des CPT zu sprechen.

Wie geht es nun weiter?

Die Wirkmacht des CPT darf nicht überschätzt werden, primär ist es ein politisches Instrument ohne echte Befugnisse. Das CPT wirkt mehr durch seine Worte und Berichte. D.h., das CPT wird einen Besuchsbericht abgeben. Danach bekommt die Bundesregierung in Berlin Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Hierzu wird die Regierung eine Stellungnahme des Landes Baden-Württemberg einholen. Im Verlaufe des Jahres 2015, also in über einem Jahr, kann man dann den Besuchsbericht und die Erwiderung Deutschlands nachlesen. Möglicherweise wird sich in einigen angesprochenen Punkten ein klein wenig etwas verändern, ein großer Schnitt ist freilich nicht zu erwarten. Jedoch dürfte sich die Freiburger Anstalt einige für das Personal unangenehme Fragen gefallen lassen. Und es gibt wenig, was Knastbeamte mehr scheuen, als das Licht der Öffentlichkeit. Nur so lange sie selbst die Meinungshoheit haben und Besuchergruppen oder Journalisten zügig durchs Haus schleusen können, allenfalls mit Vorzeigeverwahrten sprechen lassen, fühlen sie sich sicher.

An diesen zwei Tagen mussten sie darauf verzichten, potemkinsche Fassaden zu präsentieren, denn die Mitglieder des CPT achteten darauf, mit den Betroffenen alleine, d.h. ohne Bewachung durch das Personal zu sprechen.

Allerdings brachte es schon am 26.11.2013 ein Beamter des uniformierten Dienstes die wohl bei nicht wenigen Beamten verbreitete Auffassung auf den Punkt: “Was soll denn dieser Scheiß!?“, hier werde ein unglaublicher „Aufwand“ für die Sicherungsverwahrten betrieben, dass sei doch „ein Scheiß“.

So kann man den Besuch einer internationalen Kommission auch „würdigen“; aber der Beamte brachte ganz gut auf den Punkt, wie er und seine KollegInnen zu den Verwahrten stehen.

Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (Sicherungsverwahrung)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg

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