In der Geschichte der politischen Verfolgung der Linken ist das Verhalten der Verdächtigten und Verhafteten vor Polizei und Justiz sehr häufig eine Frage auf Leben und Tod gewesen. In der Weimarer Zeit und später im Nazifaschismus konnten Tausende ihr Leben nur retten weil ihre inhaftierten Genossinnen keine Namen und keine Strukturen preisgaben. Auch in manchen gut organisierten kriminellen Organisationen wie z.B. dem ‘Berliner Ringverein’ herrschte ein Ehrenkodex: Keine/r sagt was. Wir alle wissen, dass längst nicht alle der körperlichen oder psychischen Folter standhielten. Und doch blieb die Parole ‘Klappe halten’ immer die Richtschnur.
Aussageverweigerung zieht sich auch ab der Revolte ’68 als klares Prinzip durch die Geschichte der linksradikalen Bewegungen. Vor 25 Jahren, nach den Schüssen an der Startbahn-West im November 1987 machten einige Genossinnen angesichts des Mordvorwurfs umfangreiche Aussagen vor den Staatsschutzbehörden. Gegenseitige Belastungen, Aufdeckung von politischen Strukturen und illegalen Aktionen gehörten dazu.
Daraus zog der Rest der Bewegung im Rhein-Main-Gebiet eine Lehre, die ‘Anna und Arthur halten’s Maul’ – Kampagne: Keine Aussage vor der Polizei und Staatsanwaltschaft!
Dies galt dann förderhin als Richtschnur für die linksradikale Szene bei Hausdurchsuchungen, Festnahmen und in allen politischen Straf- und Ermittlungsverfahren. Nach wie vor gilt: Klappe halten!
Anders kann sich die Situation im Prozess, vor Gericht darstellen. Hier kam und kommt es des öfteren zu Einlassungen bzw. Aussagen, im besten Falle in Absprache mit der Verteidigung und dem politischen wie dem sozialen Umfeld der Angeklagten.
Über das Wie und Warum von solchen Einlassungen, die sowohl politische Erklärungen wie Aussagen zur angeschuldigten Tat sind, gibt es seit Jahren Streit und viel Gerede, aber selten öffentliche Diskussionen.
Diese Kontroverse macht auch vor der Roten Hilfe nicht halt: Die RH-Kampagne heißt seit Jahr und Tag ‘Keine Aussagen bei Polizei und Staatsanwaltschaft!’ Allerdings: „Von ‘Keine Aussagen, keinerlei Einlassungen vor Gericht!’ ist nirgends die Rede. Auch hier aus gutem Grunde: Die Unterschiede und die Verschiedenheit der Umstände lassen an genau diesem Punkt keine kampagnentauglichen Verallgemeinerungen mehr zu“ (aus einem Interview mit einem Vorstandsmitglied der RH, indymedia 11.09.13)
Vor ein paar Monaten setzte sich diese Kontroverse bei einer Soliveranstaltung für die Beschuldigten im RAZ-Verfahren hier in Berlin fort. Eine Erklärung des politischen Gefangenen Olli R. durfte seitens der Veranstalterinnen nicht vorgetragen werden, weil der von Olli benannte Vorleser aus dem Solikomitee vor ein paar Jahren als ehemaliges RZ-Mitglied eine Einlassung vor Gericht gemacht hatte. Auf der Veranstaltung wurde dieser Umgang nur knapp begründet, eine Diskussion fand nicht statt, die Hintergründe wurden somit mehr verschwiegen als transparent gemacht.
Dieses Schweigen wollen wir durchbrechen!
Wir laden euch ein zu einer Veranstaltung, in der wir über zwei Punkte mit euch diskutieren wollen:
- Aussageverweigerung in Ermittlungsverfahren ist nach wie vor das Gebot der Stunde. Anna& Arthur halten’s Maul immer noch das Prinzip. Aber kein Dogma. (Wo) sollten neue Koordinaten gesetzt werden?
- Was ist eine Einlassung vor Gericht, was ist dabei zu beachten und welche Gefahren sind damit verbunden? Unter welchen Umständen ist gar ein Deal mit dem Gericht denkbar? Welche Rückschlüsse lassen sich in diesem Zusammenhang aus einigen RZ-Verfahren von Rückkehrerinnen aus dem Exil ziehen?
Wir wollen darüber mit euch und Michael Dandl vom Bundesvorstand der Roten Hilfe sowie Sven Lindemann, Strafverteidiger in Berlin diskutieren.
Wo und wann?
Im Groessenwahn, Kinzigstr. 9, am 29. Januar 2014 um 19 Uhr
Einige GenossInnen, die schon etwas älter sind