Geschichte der Knastarchitektur

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Vorwort

Wenn wir als Anarchist_innen darüber reden, den Knast zu zerstören, meinen wir damit nicht nur das mit Stachedldraht umzäunte Gebäude am Rande der Stadt, sondern das gesellschaftliche Prinzip der Einsperrung, des Strafens und der Logik der Autorität. Diese Instrumente der Herrschaft haben im Laufe der letzten Jahrhunderte eine enorme Wandelbarkeit bewiesen und verändern stetig ihre Funktionsweisen. Da diese Wandlungen schlicht die Anpassung von Strafe an gesellschaftliche Umstände darstellen, ist eine Analyse dieser Veränderungen unabdingbar für eine revolutionäre Kritik.

Unserem heutigen Verständnis von Bestrafung ging die mittelalterliche Folter und somit die uneingeschränkte und willkürliche Machtausübung der Herrschenden sowie die mit dem Aufkommen des Kapitalismus einhergehende Vermenschlichung und Moralisierung von Bestrafung voraus und erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ähneln die Bestrafungsmethoden unserem heutigen Bild von in Zellen eingesperrten Häftlingen. In diesem ständigen Prozess haben sich auch die Strukturen der Abschreckung und die Funktion der Öffentlichkeit  verändert. Aus einem dem Spektakel beiwohnenden gröhlenden Mob wurde eine disziplinierte Öffentlichkeit, die der Strafe nicht mehr beiwohnt und für die die drohende Strafe und der Regelbruch immerzu auf subtilem Wege präsent ist. Ohne Frage gehen dieser gesellschaftlichen Präsenz von Bestrafung in jedem Aspekt des Lebens die klare  Ausformulierung von Gesetzen und Unregelmäßigkeiten voraus.  Diese zielen auf die Sanktionierung, die Dressur und schließlich die Wiedereingliederung in die disziplinierte Routine (Stundenpläne, regelmäßige Tätigkeiten, Arbeit, Schweigen, Aufmerksamkeit, Respekt, Gewohnheiten etc.) in den jeweiligen Strukturen der Disziplin (Schule, Fabrik, Kaserne etc.). Die Strafe ist nunmehr kein brandmarkender zeremonieller Terrorakt gegenüber einem besiegten Feind des sich rächenden Souveräns, sondern eine vom Gesellschaftskörpers und  Verwaltungsapparat  ausgeübte Züchtigung eines kriminellen Rechtssubjet, das unterworfen und manipuliert wird, damit es in Zukunft solche kriminalisierten Tätigkeiten vermeidet.

Diese Prävention von „Verbrechen“ ist der einzige Zweck der Strafe und ihre Techniken sind die Umformung von Gewohnheiten, die Einzwängung des Körpers, die Dressur des Verhaltens  und das Brechen des Individuums, also von Psyche, Subjektivität, Persönlichkeit, Bewusstsein und Gewissen. Die Zielscheibe dieses neuen Zugangs und Zugriffs der Strafe auf das Individuum sind seine Vorstellungen von Vorteilen, Nachteilen, Interessen, Vergnügen und Missvergnügen, denn so wirkt der Strafapparat auf die gesamte Öffentlichkeit ein und erfüllt seine Funktion: Mit jedem „Verbrechen“ wird eine darauf folgende Strafe verbunden und der wahrgenomme Nachteil der Strafe soll dem eingebildeten Vorteil des „Verbrechens“ überwiegen . Somit wird die selbständige Macht der Strafgewalt, also die Schuldsprechung und Urteilsverkündung anhand von sich erneuernden Gesetzen in jedem gesellschaftlichen Aspekt wirksam und wird nicht mehr als Machtausübung der Regierenden über die Regierten wahrgenommen, sondern als unmittelbare Reaktion des Gesellschaftskörpers auf ein „Verbrechen“. Die offensichtliche Institutionalisierung dieser Bestrafung ist das Gefängnis, das ab einem gewissen Punkt die nahezu einzige Methode zur Erreichung des strategischen Ziels der Strafgewalt wurde: Die Unterdrückung der gesellschaftlich verbreiteten Gesetzwidrigkeiten.
Eine Analyse der Entwicklung des Gefängnisses, die die sich verändernden Funktionen und Methoden grundsätzlich hinterfragt, beginnt zumeist bei der Architektur und ihrer Konzeption. Der nachfolgende Text unternimmt einen solchen Versuch, kann aber keine Analyse von neueren Trends nach den 80′ern liefern.

Wir dürfen diese Entwicklungen nicht verpassen, sie erst im Nachhinein betrachten oder als bloße Zuschauer_innen beobachten. Beispielweise profitieren immer mehr Firmen durch zunehmende Privatisierung von Gefängnissen und es lohnt sich neuerdings wieder in die Arbeitskraft von Gefangenen zu investieren. So werden es nicht nur mehr und größere Profiteure, die hinter dem Geschäft mit den Knästen stehen, sondern auch die Aufgabe der Arbeit verändert sich innerhalb des Gefängnisses. Andere neuere Entwicklungen wie bsp. die Fußfesseln verändern die Methode der Bestrafung so grundsätzlich, dass sie sich sich über die Mauer des Gefängnisses hinaus ausdehnen und dieses nicht mehr benötigen. Darüber hinaus zeigen Sicherheitsverwahrung und unbefristete Aufenthalte in Psychatrien und Heimen die Tendenz zum lebenslänglichen Wegsperren und zur Strafe auf ungewisse Dauer.

Allgemein gibt es immer mehr Überflüssige für diese Gesellschaft, immer mehr Menschen die weggesperrt werden.
Mit der sich vermehrenden Einsperrung, mit der noch vereinzelten Rebellion von Gefangenen, der Verschiebung und Ausdehnung von Kriminalität, der Ausbreitung von materieller Armut und Unzufriedenheit und mit den sich verhärtenden autoritären Prozessen in Staat und Gesellschaft gibt es immer mehr Punkte an denen es zu Revolten kommt und das Konfliktpotential innerhalb des sozialen Gefängnis wächst. An diesen Punkten wollen wir intervenieren, mit unseren Ideen präsent sein und unser Konzept von revolutionärer Kritik intensivieren und verbreiten. Jedoch müssen wir für diese Kritik nicht auf irgendeine Krise warten oder einer Masse hinterherrennen, denn ihre Schlagkraft entwickelt sie nur, wenn sie im hier und jetzt praktiziert wird und durch unsere eigene Selbst-Organisation entsteht. Revolutionäre Kritik ist deshalb immer praktisch und sucht sich die Mittel für den Angriff selbstbestimmt aus. Diese Mittel beinhalten das Bedürfnis, unser Leben in die eigenen Hände nehmen zu wollen. Und so ist auch dieses Bedürfnis Ausgangspunkt für die Kritik an dem Bestehenden, denn wir wollen nicht analysieren inwiefern Institutionen und Beziehungen in bestimmten Punkten und Momenten mit Vorstellungen von „Idealen“ zusammenstoßen, sondern warum sie grundsätzlich unsere Bedürfnis und Sehnsüchte nicht erfüllen können. Unsere Revolutionäre Kritik lehnt deshalb auch jeden über uns stehenden Wert und jedes Dogma ab, da sie immer von der Gegenwart ausgeht und somit Teil eines existierenden Kampfes ist. Dieser Kampf zielt auf einen Bruch ab, aus dem sich die soziale Revolution entwickeln kann. Und um in jedem Aspekt des Kampfes die eigene Autonomie beizubehalten, verweigert diese Kritik jeden Kompromiss mit der Macht.

“Daher lasst uns nicht über das sprechen, was Sie uns Inhaftierten antun, sondern über das, was wir Ihnen antun können.“ – ehemaliger Gefangener der JVA Köln-Ossendorf

Wenn wir die Institution des Gefängnisses zerstören wollen, müssen wir herausfinden, welche Verantwortlichen an diesem riesigen Apparat mitwirken. Kein Mensch kann sich für das Mitwirken und Teilhaben an diesem Gefängnisapparat hinter der Ausrede verstecken nur seinen Job zu machen. Für uns zeigt der folgende Text sehr deutlich auf, dass beispielsweise diejenigen, die die Architektur des Gefängnisses entwickelt haben, in vollem Bewusstsein schlicht die größtmögliche Isolation und Unterwerfung des Individuums herbeiführen wollten. Diese individuelle Verantwortung tragen von den Verantwortlichen des Justizapparats und Richter_innen, die die Dauer, Intensität und Eigenheit der Strafe an das Individuum anpassen, über die Polizist_innen, Knastwärter_innen und -Sozialarbeiter_innen, Psychater_innen, Ärzt_innen, Stellvertreter_innen und Direktor_innen bis hinzu all den Mitwirkenden an diesem Straf- und Knastkomplex, all jene globalen und lokalen Firmen, Institutionen und Menschen, die Knäste konstruieren, finanzieren, entwickeln, betreiben, rechtfertigen und schützen und von ihnen profitieren.

„Wir brauchen daher nicht das Bild von Monstern auf die Wärter zurückzuwerfen, das sie uns anhängen (…) Wir betrachten sie als das, was sie sind: Menschen, die sich Tag für Tag entscheiden, den Schlüssel in den Schlössern der Zellen umzudrehen. Weil wir nicht denken, dass es möglich ist, die Henker zu „bekehren“ oder zu „überzeugen“, bedeutet das nicht, dass wir ihnen ihre Menschlichkeit abstreiten. Es ist diese Spannung, diese ethische Spannung nach der Freiheit, die nicht eine andere Version der „Justiz“ mit ihren Gesetzen und Bestrafungen sein will, die uns so verschieden macht und in der wir unsere Kraft und unseren Mut schöpfen, um die Autorität weiterhin mit den Waffen der Antiautorität zu bekämpfen.
Dies ermöglicht uns im Übrigen, ohne Missverständnisse zum Angriff überzugehen. Denn selbst wenn das Gefängnis eine Maschinerie ist, der es gelingt, die Verantwortung der Folter, die die Einschließung in Wirklichkeit ist, ins Endlose zu verteilen und somit das verschwommene Gesicht eines tentakligen und anonymen Monsters annimmt, so tragen gewisse Personen paradoxerweise spezifische Verantwortungen. Sie zu identifizieren ist eine Lebensnotwendigkeit für jedes Projekt des Kampfes gegen das Gefängnis. Verstehen, wer, wo und wie die Fäden zieht.“ – aus Stein für Stein. Kämpfen gegen das Gefängnis und seine Welt (Belgien 2006 – 2011)

Edition Irreversibel, Februar 2013

 

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