Nach Ansicht des Gesetzgebers soll Sicherungsverwahrung die Gesellschaft vor ‘gefährlichen Rückfalltätern’ schützen; durch deren Verwahrung, bzw. dann Behandlung während des Freiheitsentzugs, so die Vorstellung, werden schwerwiegende neuerliche Straftaten vermieden, zumindest jedoch in geringerem Umfange begangen, als wenn es die SV nicht geben würde.
An dieser Überzeugung wird aus kriminologischer Sicht immer wieder Kritik geäußert, die sich freilich kaum in der Praxis der Anwendung und Vollstreckung der SV niederschlägt.
Ergebnisse von 2009
In seiner Dissertation (‘Nachträgliche Sicherungsverwahrung- ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel’) untersuchte Michael Alex seinerzeit das Legalverhalten von Gefängnisinsassen, gegen die nachträglich die SV angeordnet wurde, bzw. werden sollte, die jedoch dessen ungeachtet, aus Rechtsgründen frei kamen, also gerade nicht, weil man sie (plötzlich) für ‘ungefährlich’ gehalten hätte.
Von 77 Betroffenen, wurden in dem Untersuchungszeitraum 50 Personen strafrechtlich gar nicht auffällig. 15 wurden zu Geldstrafen oder Haftstrafen mit Bewährung verurteilt. Lediglich 12 ehemalige Insassen erhielten eine Haftstrafe ohne Bewährung (darunter sieben Fälle von Drogendelikten oder Diebstahl und fünf Fälle wegen Gewalt- oder Sexualtaten).
Allen 77 Probanden war jedoch eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Sexual- oder Gewalttaten attestiert worden, in aller Regel von Psychiatern oder Psychologen. In lediglich fünf von 77 Fällen verwirklichte sich diese Gefahr.
Ergebnisse von 2014
Anknüpfend auch an die eben genannte Doktorarbeit von Michael Alex, untersuchte Anna Mandera von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, die Folgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 zur Sicherungsverwahrung.
Seinerzeit erklärte der EGMR die deutsche Praxis, rückwirkend die Sicherungsverwahrungs-Vollzugsdauer von maximal 10 Jahren entfallen zu lassen, also die Betreffenden auch über diese Frist hinaus zu verwahren, für unvereinbar mit den Menschenrechten.
In ihrem Forschungsbericht (‘Führungsaufsicht bei ehemaligen Sicherungsverwahrten‘) stellte Mandera die rechtliche Entwicklung seit jenem Urteil von 2009 dar. Sodann folgen die Ergebnisse ihrer durchgeführten, umfangreichen Befragung von BewährungshelferInnen, die die seit 2009, in Folge des Urteils auf freien Fuß gelangten ehemaligen Verwahrten betreuten. Hier von besonderem Interesse sind die Rückfalldaten (a.a.O., Seite 59-66).
Erfasst von der Arbeit waren 59 Fälle, die allesamt zwischen dem 12.Mai 2010 und 28.12.2012 entlassen wurden. Jeder galt als hochgefährlich, weshalb die SV über 10 Jahre hinaus vollstreckt wurde – unter Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot.
D.h.die Klientel war vergleichbar derer, die Alex schon 2009 untersucht hatte.
Bei lediglich 18 der 59 Probanden kam es zu einem Ermittlungsverfahren, welches nicht nur wegen eines Verdachts des Verstoßes gegen Führungsaufsichtsauflagen, vgl. § 145 a StGB, eingeleitet worden war. In 10 dieser 18 Fälle kam es bis zum Zeitpunkt der Untersuchungsarbeit zu Verurteilungen, darunter wegen Diebstahl, Betrug, Einbruchs.
Zusammenfassend stellte Mandera deshalb fest, dass „die Gefährlichkeit der (…) betroffenen Sicherungsverwahrten vielfach überschätzt worden ist“ (a.a.O., S.67). Soweit denn überhaupt Tatvorwürfe bestanden hätten, wären diese „fast ausschließlich auf Delikte geringer oder mittlerer Schwere“ beschränkt geblieben.
Bewertung
Von Rationalität durchdrungen ist die Debatte über die (angebliche) ‘Gefährlichkeit’ von Inhaftierten, speziell von Sicherungsverwahrten, in den seltensten Fällen. Empirische Befunde widerlegen, und dies schon seit langer Zeit, die behauptete Gefährlichkeit von in der SV befindlichen Menschen. Wenn überhaupt, kommt es in wenigen Einzelfällen zu einschlägigen Rückfällen; die überwiegende Mehrzahl der eigentlich nach fachkundiger Meinung von Psychiatern und Psychologen, extrem ‘gefährlichen’ ehemaligen Insassen, lebt unauffällig und begeht keinerlei Straftaten mehr, geschweige denn schwere oder schwerste Sexual- oder Gewalttaten.
Leider ist auch der Vollzugsalltag in den Sicherungsverwahrungsanstalten frei von solchen objektiven Befunden; d.h. die Sicherungsverwahrten gelten-per definitionem-als ‘allgemeingefährlich’ und entsprechend gestaltet sich deren Vollzugsalltag (vgl. dazu meine Beiträge auf community.beck.de). Von einer gefängniskritischen Position ist primär in linksradikalen Zusammenhängen die Rede. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, ob nun sachkundig, oder Laie, hält lieber an den irrationalen Ängsten und Befürchtungen fest, wie man gerade in diesen Tagen, wenn auch in anderem Kontext (Stichwort:Pegida), etwas resignierend festhalten muss.
http://www.abc-berlin.net/thomas-meyer-falk-sicherungsverwahrung-und-rueckfall