Wie vor wenigen Tagen berichtet (https://linksunten.indymedia.org/de/node/142695) traten in der JVA Freiburg einige dutzend Gefangene in den Hungerstreik. Zwischenzeitlich wurde dieser beendet.
Anlass des Hungerstreiks
Wie sich erst im Verlauf der Proteste heraus kristallisierte, sollen sich Strafgefangene mit einem GUS-Migrationshintergrund (GUS = ehem. Sowjetstaaten) empört haben über einen angeblich homosexuellen Insassen, der in der Gefängnisküche arbeitete und der es an der Hygiene mangeln lasse.
Der als Anstaltsbeirat ehrenamtlich tätige Nikolaus von Gayling (http://fdp-fraktion.com/Nikolaus_von_Gayling.html) sagte: „Das geht gar nicht, jemanden wegen dessen Homosexualität verfolgen!“.
Lokalzeitung berichtet
Die Badische Zeitung (http://www.badische-zeitung.de/freiburg/70-haeftlinge-in-freiburg-im-hungerstreik–104564456.html) berichtete ausführlich am 9. Mai 2015 auf Seite 1 und Seite 25 über die Aktion. So habe das Justizministerium in Stuttgart den Protest von „rund 70 Häftlingen“ bestätigt. Der Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums, Steffen Ganninger wird mit den Worten zitiert: „Nach unserer vorläufigen Einschätzung könnte es sich um eine Machtdemonstration handeln“.
Reaktion der Anstalt
Nachdem am 8. Mai 2015 der Protest für beendet erklärt wurde, kehrte die Anstalt zum normalen Tagesbetrieb zurück. Der Insasse, der in der Anstaltsküche tätig ist, soll dem Vernehmen nach anstaltsintern mit seiner „Zustimmung“ umgesetzt und künftig in der Beamtenkantine tätig sein.
Bewertung
So erfreulich es ist, wenn sich auch in den Gefängnissen Kollektive bilden, die dann gemeinsam Ziele verfolgen und bereit sind, einen Protest zu organisieren, so indiskutabel ist es, die Homosexualität eines Menschen zum Anknüpfungspunkt zu nehmen.
In diesen Wochen wird breit an das Ende des 2. Weltkriegs vor 70 Jahren erinnert, damit auch an die unsägliche Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit.
Vor diesem Hintergrund wäre es ein fatales Signal, sollte die Anstalt tatsächlich dem Druck nachgeben und dies mit der sexuellen Orientierung des betroffenen Gefangenen zu tun haben.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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Massenhungerstreik in Freiburgs Gefängnis
Nachdem schon im November 2014 ein Hungerstreik eines Sicherungsverwahrten (http://de.indymedia.org/node/2558) Schlagzeilen machte, sind aktuell Strafgefangene in der JVA Freiburg in einen Hungerstreik getreten; die Rede ist von dutzenden Gefangenen.
Die Vorgeschichte
Wie so oft bei Gefängnisprotesten in Deutschland, hat sich offenbar der Unmut an der Situation der Gefängnisküche entzündet. Ein dort eingesetzter Insasse soll es mit der Hygiene nicht so genau nehmen. Aus der Gruppe der sogenannten ‘Russland-Deutschen’ (vgl. zu diesen im Kapitel ‘Der Vollzug’ meine Ausführungen: http://de.indymedia.org/2013/06/345749.shtml) regte sich nachdrücklicher Protest.
Der 05. Mai 2015
Aus Sicht der Anstalt drohte nun die Eskalation, denn es soll angekündigt worden sein, wenn die Gefängnisleitung nicht auf die Proteste eingehe, würden zahlreiche Gefangenen nach der ihnen zustehenden Hofstunde nicht mehr ins Gebäude zurückgehen.
Prompt wurden alle Strafgefangene nach dem Ende der vormittäglichen Arbeitszeit in ihren Zellen weggeschlossen, die Arbeitsbetriebe nachmittags geschlossen. Der Zugang zum Hof wurde streng überwacht und nach Hofende erneut alle Insassen weggeschlossen; alle abendlichen Sport- und Freizeitgruppen strich der Anstaltsleiter ersatzlos. Auch durfte die Gruppe der Sicherungsverwahrten, denen eigentlich die Teilnahme am Strafhaft-Hofgang zusteht, nicht in den Hof.
Zwischenzeitlich sollen sich türkischstämmige Mitgefangene dem Protest angeschlossen haben.
Als erste Reaktion folgten auch Repressalien: so sollen mehrere ‘führende Köpfe’ aus der Gruppe der ‘Russland-Deutschen’ in andere Anstalten verlegt worden sein.
Der 06. Mai
Auch am Mittwoch, den 06. Mai herrschte aus Sicht der Anstalt Alarmstimmung: erneut wurden alle Freizeitaktivitäten gestrichen, die Arbeitsbetriebe schlossen um 12 Uhr ihre Tore und die Strafgefangenen wurden weggeschlossen. Für den nachmittäglichen Hofgang trennte die Anstaltsleitung die Gefangenen in zwei Gruppen. Von 13 bis 14 Uhr hatte die eine Hälfte Hofgang und eine Stunde später wurde die andere Hälfte aus ihren Zellen gelassen, um in den Hof zu gehen; jedoch soll einer größeren Anzahl insbesondere der ‘russland-deutschen’ Insassenschaft der Hof verwehrt worden sein.
Ferner hätte eine zweistellige Anzahl aus dieser Gruppe, aber vereinzelt auch türkischstämmige Insassen die Annahme des Gefängnisessens verweigert. Des weiteren solle, um die Ernsthaftigkeit ihres Hungerstreiks zu belegen, eine größere Anzahl von Gefangenen auch alle privat gekauften Lebensmittel aus ihren Zellen heraus gegeben haben.
Hungerstreik als Protestform
Insbesondere seit dem Hungertod eines in Isolationshaft gehaltenen Gefangenen in der JVA Bruchsal im vergangenen Jahr (http://community.beck.de/gruppen/forum/neuigkeiten-ber-hungertod-eines-gefangenen) ist das Interesse an der oftmals desolaten Haftsituation von Inhaftierten etwas größer als noch zuvor. Dabei ist die Ernährung sicherlich nur ein Punkt von ganz vielen Missständen. Gerade hier in Freiburg wäre aktuell zu nennen: die nunmehr rigoros praktizierte Regelung, dass alle BesucherInnen, selbst wenn sie von weit anreisen und ein Zug leichte Verspätung hat, oder ein Stau auf der Autobahn die Anreise verzögerte, fort geschickt werden, wenn sie weniger als 20 Minuten vor Besuchsbeginn am Tor klingeln. Selbst bei nur einer- oder zweiminütigen Verspätung erfolgt ohne Prüfung des Falls die Wegweisung. Für die familiären und freundschaftlichen Bindungen eine enorme Belastung.
Oder es ist zu denken an die ökonomische Situation. Ein großer Teil der Gefangenen lebt von ca. 35 Euro Taschengeld im Monat, bzw. wenn jemand arbeitet und Geld verdient, hat er kaum mehr als 80 oder 90 Euro im Monat zur Verfügung. Davon muss jeder dann hohe Strompreise bezahlen – zum 01.01.2014 erfolgte eine Erhöhung auf 29,09 Cent/kwH, obwohl die JVA selbst in mehreren Gerichtsverfahren einräumen musste (vgl. http://de.indymedia.org/node/4105). Wenn Gefangene rund 20 Prozent ihres Taschengeldes, so wie zzgl. 5 Euro im Monat an die Freiburger Gefangenenhilfe bezahlen müssen, die die Satellitenanlage betreibt, stehen für Duschgel, Tabak oder sonstige kleine Vergünstigungen kaum noch Gelder zur Verfügung. Und nur wer vor Gericht klagte, hat überhaupt eine Chance zu viel bezahlte Gelder zurück zu erhalten.
Viele der jetzigen Protestierer werden einen hohen Preis für ihren Widerstand zu zahlen haben: Isolationshaft, Verlegung in andere Anstalten (und damit Verlust der bisher aufgebauten sozialen Beziehungen) und womöglich auch zusätzliche Haftkosten, denn die Anstalten in Baden-Württemberg behalten sich vor, für alle medizinisch erforderlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit einem Hungerstreik, die Gefangenen in Regress zu nehmen.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
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Sicherungsverwahrung für Sex ohne Kondom!
Im Oktober 2014 verurteilte das Landgericht Oldenburg Frau Schmid (Name geändert) zu vier Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Unterbringung in – potentiell lebenslänglicher – Sicherungsverwahrung, da sie, wiewohl HIV-positiv, ungeschützten Geschlechtsverkehr mit Männern gehabt habe und diese auch nicht über ihre Infektion aufgeklärt habe.
Gegen dieses Urteil hat Frau Schmid Revision beim Bundesgerichtshof erhoben. Mit Schriftsatz vom 30.03.2015 hat ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Jacob Hösl (Köln) auf 42 Seiten die Sachrüge begründet. Nun prüfte der 3. Strafsenat des BGH (Az.: 3 StR 55/15) die Revisionsschrift.
Das Urteil des LG Oldenburg
Die RichterInnen des LG sahen in dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eine versuchte gefährliche Körperverletzung nach § 223 Absatz 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, da die (mögliche) Infektion eines anderen mit HIV eine „die das Leben gefährdende Behandlung“ darstelle. Sicherungsverwahrung wurde angeordnet, da Frau Schmid vorbestraft sei wegen vergleichbarer Taten, trotz mehrjährigen Freiheitsentzugs nicht zu beeindrucken gewesen sei und folglich eine „gewurzelte Neigung zur Begehung derartiger Straftaten“ vorliege, d.h. sie habe den Hang zur Begehung solcher Taten. Ferner komme in diesen Taten ein hohes Maß an krimineller Energie zum Ausdruck.
Die Revisionsbegründung
Der Verteidiger von Frau Schmid fordert nichts geringeres als die Freisprechung seiner Mandantin. Ausführlich analysiert er die Anwendung des Strafrechts auf sexuell übertragbare Krankheiten und weist nach, dass bis zum Auftreten von HIV in den 80er Jahren wohl noch nie jemand wegen der sexuellen Übertragbarkeit einer Infektionskrankheit strafrechtlich belangt worden sei.
Und dies, obwohl es derer ja diverse gegeben habe und nach wie vor gibt (Syphilis, Hepatitis, u.a.).
Rechtsanwalt Hösl beklagt die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und legt dar, dass die Ausübung einvernehmlicher sexueller Handlungen eine sozialadäquate Handlung sei. Diese dann zu bestrafen, lediglich weil das Risiko einer HIV-Infektion des Sexualpartners bestanden haben soll (der Anwalt weist darauf hin, dass in keinem der zur Verurteilung führenden Fälle eine Infektion erfolgt sei), verletze die Grundrechte von Frau Schmid, insbesondere ihr Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit.
Kritisch setzt Hösl sich mit der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs auseinander. Der nämlich 1988 die HIV-Infektion eines andern als „Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ bewertete (BGHSt Band 36, S. 1 ff).
Angesichts der Entwicklung der medizinischen Kenntnisse und Behandlungen seit den 80ern könne heute der ungeschützte Geschlechtsverkehr schlechterdings nicht mehr eine „das Leben gefährdende Behandlung“ darstellen.
Es mag sich um (einfache) versuchte Körperverletzung handeln, jedoch keinesfalls um eine (versuchte) gefährliche Körperverletzung.
Zur Sicherungsverwahrung
Deutliche Worte findet Rechtsanwalt Hösl zu der vom Landgericht angeordneten Sicherungsverwahrung. Weder liege ein „Hang“ vor, noch sei die Legalprognose ungünstig, geschweige denn sei die Sicherungsverwahrung vorliegend verhältnismäßig.
Er kritisiert unter anderem, dass hier ein biologischer Vorgang, nämlich der einvernehmliche Geschlechtsverkehr ohne Kondom, als Anknüpfungspunkt für eine potentiell lebenslange Freiheitsentziehung dienen soll.
Im übrigen habe es seine Mandantin auch nicht in der Hand, ob ein Geschlechtspartner ein Kondom benutzt oder nicht. Dies sei letztlich (Lebens-)Risiko der betroffenen Männer.
Das Landgericht habe es auch unterlassen, sich mit der nach wie vor bestehenden Stigmatisierung von Menschen mit HIV näher auseinander zu setzen, denn diese könnte möglicherweise dazu geführt haben, dass Frau Schmid nicht von sich aus die Männer auf ihre bestehende HIV-Infektion hingewiesen habe.
In der Nicht-Offenbarung, bzw. Nicht-Verwendung eines Kondoms eine „erhebliche kriminelle Energie“ erblicken zu wollen, halte verfassungsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Bundesgerichtshof verwirft Revision
Mit am 27.04.2015 Frau Schmid zugestelltem Beschluss hat der 3. Strafsenat die Revision als unbegründet, und ohne dies näher auszuführen, verworfen. Ihr Rechtsanwalt erwägt nun gegen diese Entscheidung, wie auch gegen das landgerichtliche Urteil Verfassungsbeschwerde zu erheben.
Kritischer Ausblick
Der Fall von Frau Schmid zeigt, wie niedrig Gerichte die Schwelle zur Verhängung der Sicherungsverwahrung ansetzen. Einer Maßregel, die mit Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933 von den Nationalsozialisten erstmals in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen wurde (und deren Einführung schon Kurt Tucholsky vehement zu verhindern suchte, vgl. „Die Weltbühne“ 1928, S. 839). Heute bedeutet Sicherungsverwahrung vielfach eine lebenslängliche Verwahrung – bis zum Tod.
Wenn dann, wie in der Zeit 2010 – 2011, zahlreiche Verwahrte aus formalen Gründen auf freien Fuß kommen, wiewohl ihnen eine in der Regel exorbitant hohe Rückfallgefahr attestiert wurde, und über 50 % gar nicht mehr „rückfällig“ werden, nur ein geringer Teil, im unteren einstelligen Prozentbereich, erneut „einschlägige“ Taten begeht und so die These von der „Allgemeingefährlichkeit“ der Verwahrten faktisch widerlegt wird, fragen sich die Betroffenen, weshalb diese praktischen Erfahrungen sich nicht im Vollzugsalltag niederschlagen.
Nach wie vor wird auf Verwahrung gesetzt. Urteile wie die des LG Oldenburg lassen den Verdacht aufkommen, dass die Gefängnisse mit allen Mitteln gefüllt werden sollen, und – mit sonderbarsten Begründungen – für eine Verurteilung herhalten müssen.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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