Silvester zum Frauen*knast
Wie die Jahre zuvor, werden wir auch dieses Jahr am 31. Dezember unsere Solidarität mit Gefangenen zeigen und unsere Kritik an Knästen und Zwangsanstalten auf die Straße bringen. Gerade auch für das kapitalistische System sind Gefängnisse Grundpfeiler. Wir leben in einem System, das darauf aufbaut, Ausschlüsse zu produzieren. Wer nicht wie vorhergesehen funktioniert, z. B. Aufgrund von Herkunft als anders gilt oder sich nicht an die offiziell geltenden Regeln hält,wird weg gesperrt.
Nahezu überall erfahren Menschen in dieser Gesellschaft Repression, die institutionalisierte Isolation ist hierbei nur die Spitze des Eisberges.
Soll diese Form der Strafe offiziell zur Abschreckung für Andere, so wie zur Erziehung sogenannter Delinquenten gelten, so treten immer mehr ökonomische Interessen der Verwertbarkeit weggesperrter Arbeitskraftressourcen in den Vordergrund. Weltweit profitieren Konzerne und staatliche Betriebe ökonomisch vom Knastsystem. Besonders in den USA, Australien, UK und in Deutschland lassen viele Konzerne hinter den Gefängnismauern produzieren und zuliefern oder verdienen am Bau und Betrieb von Gefängnissen in s.g. Public Private Partnerships (PPP). Dadurch wächst das Bedürfnis an weiterer unbezahlter Arbeit und führt zu einem Lobbyismus, der z.B. aktuell bereits in jedem Justizministerium der einzelnen Bundesländer Fuß gefasst hat und stetig auf eine Verschärfung von Strafgesetzen Einfluss nimmt. In den USA ist die Gefängnis- neben der Rüstungsindustrie der einzige, stetig wachsende ökonomische Bereich und gehört inzwischen zu den umsatzstärksten Konzerngebilden der US-Binnenwirtschaft. Seit 2007 gilt sie bereits als der drittgrößte „Arbeitgeber“ des Landes – ein zynischer Begriff für die Profi teure von Freiheitsraub und Arbeitszwang. Historisch ist sie nichts anderes als die moderne Form der offiziell abgeschafften Sklaverei – wenn auch unter anderem Namen: „Correctional Institution“. In den USA ist die Frage der gesellschaftlichen Teilnahme vor allem eine Frage der Hautfarbe – People Of Colour und Schwarze stellen dort den übergroßen Teil der 2,3 Millionen Gefangenen. Damit spielen die USA eine Vorreiterrolle, denn auch in den Knästen dieses Landes geht es zusehends um Billiglöhne, vertraglich garantiertes Abschöpfen von Steuergeldern (PPP) und das Wegsperren desjenigen Teiles der Bevölkerung, der im herrschenden Diskurs als „überfl üssig“ angesehen wird. Dabei ist und bleibt der Knast auch ein Ort des sozialen Widerstandes wie die aktuellen Kämpfe von z.B. Gülaferit Unsal, Thomas Meyer-Falk, Sonnur Demiray, Sadi Özpolat und vieler anderer zeigen.
Der Kampf der bundesweit neugegründeten Gefangenengewerkschaft macht aber auch hier deutlich, dass verschärfte Ausbeutung inzwischen in den deutschen Knästen angekommen ist. Der von den Gefangenen geführte Kampf gegen die Repression kann zum Beispiel Beschaffung und Verbreitung von Information bedeuten, und unter Anderem über alle möglichen Formen der Verweigerung geführt werden, von Arbeitsverweigerung bis hin zum lebensgefährlichen Hungerstreik.
Ab dem nächsten Jahr hat Berlin ein neues Strafvollzugsgesetz. Hierdurch wird die Situation der Gefangenen noch beschissener. Unter Anderem werden die Pakete abgeschafft, der Arbeitszwang wird beibehalten und die Besuchszeit wird verkürzt. Das heißt, dass das System Knast noch geschlossener wird.
Lassen wir uns nicht auf die Logik ein, dass es Leute gibt, die in den Knast gehören.
Mit den 2 Demos zu Silvester wollen wir unsere Solidarität mit den Gefangenen nach außen und zu ihnen tragen. Wir wollen präsent, laut und erreichbar sein, um drinnen und draußen dieses System zu stürzen.
Betroffen sind (viele, viele) Einzelne, gemeint sind wir alle!
Termine
31. Dezember 2015 – 15:30 Uhr – S-Bhf Frankfurter Allee
Demo zur JVA für Frauen Lichtenberg
31. Dezember 2014 – 21:30 Uhr – Alt-Moabit / Rathenower Str.
Demo zur JVA für Frauen Reinickendorf
Interview
In Berlin werden derzeit zwei Demonstrationen zu Frauen*-Knästen am Silvesterabend angekündigt. In Solidarität mit Gefangenen und für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse gehen Menschen Silvester an vielen Orten auf die Straße. In Berlin gibt es dieses Jahr einige Neuerungen. Wir sprachen mit Emma und Erich aus dem Vorbereitungskreis.
Frage: Ihr betont auf Plakaten und im Aufruf, dass es dieses Jahr zu Frauen*-Knästen geht. Warum diese Hervorhebung?
Emma: Es gab in den vergangenen Jahren die berechtigte Kritik, dass wir zumindest abends immer vor der JVA Moabit demonstriert haben, in der Männer gefangen gehalten werden. Das wollen wir in diesem Jahr ändern, denn wir wollen auch gefangenen Frauen* unsere Solidarität ausdrücken. Nachmittags gehen wir wie in den letzten Jahren auch zur „JVA für Frauen“ in Lichtenberg. Dort gibt es seit über einem Jahr konkrete Kämpfe von Gefangenen, die wir natürlich unterstützen. Die Anstaltsleitung in Lichtenberg hat ein rassistisches „Teile- und Herrsche“ Prinzip etabliert, um Gefangene gegeneinander auszuspielen und Unterwürfigkeit zu sichern. Einige machen da nicht mit und leisten Widerstand.
Erich: Wir gehen abends an der JVA Moabit los, ziehen am Berliner LaGeSo vorbei, dass seit Monaten Geflüchtete mit seiner Bürokratie terrorisiert und noch immer Menschen zum Übernachten auf der winterlichen Straße zwingt. Als Ergebnis der Asylrechtsverschärfung werden viele Geflüchtete schon demnächst von Eilverfahren und Abschiebehaft bedroht sein. Danach demonstrieren wir dann durch den Wedding und das afrikanische Viertel mit seinen an die blutige Kolonialgeschichte Deutschlands erinnernden Straßennamen bis hin zur „JVA für Frauen“ in Reinickendorf.
Frage: Ihr geht dieses Jahr gleich 2x auf die Straße. Ist das überhaupt zu schaffen?
Erich: Wir hoffen doch. Aus den vergangenen Jahren wissen wir, dass manche nur am Nachmittag oder am Abend gehen. Da gibt es unterschiedliche Vorlieben: die einen haben keine Lust auf das Geballer und die besoffene Stimmung in der Stadt und gehen daher lieber am Nachmittag. Andere möchten ihren Protest gerne ins laute Leben tragen und genau da präsent sein. Denen gefällt es abends. Ich gehe auf beide Demos.
Emma: Nachmittags wird die Route sehr kurz, nur etwas über 2 Kilometer. Es bleibt also genügend Zeit, sich zu erholen, bis es abends wieder losgeht. Außerdem wollen wir das ab 1. Januar geltende neue Berliner Strafvollzugsgesetz öffentlich thematisieren. So werden u.a. Pakete abgeschafft, der Arbeitszwang vertieft und Besuchszeiten gekürzt. Das sollten viele Berliner*innen wissen, denn diese Verschärfung der Haftbedingungen wurde beinahe im Stillen beschlossen und bisher öffentlich kaum wahrgenommen.
Frage: In eurem Aufruf erwähnt ihr die Gefängnis-Ökonomie, vor allem das Beispiel aus den USA. Seht ihr ähnliche Entwicklungen auch hier?
Emma: Wir haben (noch) keine Masseninhaftierung wie in den USA. Allerdings zeigt sich auch hier, dass Arme und Ausgeschlossene zusehends Haftstrafen antreten müssen. Vor wenigen Jahren waren manche aktuelle Verurteilungsgründe noch gar keine Straftaten. Wenn Menschen z.B. für wiederholtes Fahren ohne Fahrschein inhaftiert werden, wie es in Berlin inzwischen sehr häufig geschieht, zeigt das, wie weit Armut bereits kriminalsiert worden ist. Wir fragen, warum? Wem nützt es, Menschen, die keine oder nur geringe Teilhabe besitzen, einzusperren? Wenn wir uns die Möbel- oder vor damals die Buchbinderfabrik der JVA Tegel anschauen, finden wir erste Antworten.
Erich: Es ist kein Zufall, dass die neue Gefangenen-Gewerkschaft (2) im vergangenen Jahr in so vielen Gefängnissen das Landes Fuß gefasst hat. Die ökonomische Ausbeutung von Gefangenen ist in vielen JVAs präsent. Es handelt sich bei der Arbeit in Gefängnissen nicht wie so oft behauptet um Beschäftigungstherapie oder „fortbildende Qualifizierung“, sondern um lukrative Ausbeutung. Gerade die fortschreitende Privatisierung des Strafvollzuges deutet an, wohin die Reise geht. In Sachsen-Anhalt weiß noch nicht einmal mehr die Landesregierung, wer die Gewinne aus der JVA Burg eigentlich einstreicht.
Emma: Die Verhältnisse hier sind noch nicht wie in den USA, aber wir können an dem Beispiel der dortigen Masseninhaftierung und den katastrophalen Auswirkungen gerade auf die Communities of Color sehr gut ablesen, was passiert, wenn wir die Ökonomisierung des Strafvollzuges hinnehmen. Der Zwang zur Arbeit wurde in Gefängnissen seit ihrem Bestehen durchgesetzt, aber er zielt nicht nur auf Gefangene, sondern auf die ganze Gesellschaft. Der Knast in allen seinen Abstufungen ist derzeit das letzte Glied einer Kette, die uns anhalten soll, hohe Mieten zu akzeptieren, für viel zu wenig Geld zu arbeiten, verpflichtende Zwangsabgaben in allen möglichen Formen zu zahlen und ansonsten zu konsumieren und die Schnauze zu halten.
Erich: Die Lobbyorgansiation der Gefängnisindustrie hat sich auch in der BRD bestens organsiert. Auf JVA-Shop.de kannst du dir ja mal Angebote einholen, was wo am günstigsten für dich von Gefangenen produziert werden kann. Baden-Württemberg „lässt Sie nicht sitzen“ und Bayern verspricht eine bessere Infrastruktur für Produktion als in Rumänien bei gleichbleibend niedrigen Lohnkosten. Neubauten von teilweise oder völlig privaten Gefängnissen gibt es momentan viele. Ähnlich wie die Correctional Corporations of America (1) haben es Lobbyist*innen auch hier in die Justizministerien der Länder geschafft.
Entsprechende Gesetzesänderungen lassen sich schon lange beobachten. In den USA sitzen z.B. 97% aller 2,3 Gefangenen ohne Verfahren im Knast. Die sind in „Plea Bargains“ zu frei erfundenen Geständnissen gezwungen worden. In den hiesigen Sozialgerichten machen sie uns ja schon seit Jahren vor, dass das individuelle Recht auf ein Gerichtsverfahren nur ein sehr hohles ist, wenn wir Jahre warten müssen, um z.B. gegen Hartz IV Sanktionen vorzugehen. Wir haben 2013 auch gesehen, dass das Bundesverfassungsgericht „Deals“ zur „Verfahrensabkürzung“ grundsätzlich anerkannt hat. Seitdem berichten uns die Medien über Reiche, die sich freikaufen. Sobald wir akzeptiert haben, dass der Staat dir irgendwelche seiner selbst definierten Vergehen nicht einmal mehr beweisen muss, sind wir allerdings aufgeschmissen, wenn wir uns im eigenen Fall dann nicht mehr freikaufen können. Mit solchen „rechtsstaatlichen“ Methoden ist es möglich, viele Menschen einzusperren, ohne sich mit „Details“ wie z.B. der Schuldfindung aufzuhalten. Also, wir haben bereits etliche Faktoren, die die Masseninhaftierung „überflüssiger“ Teile der Bevölkerung möglich machen. Was unserer Einschätzung nach noch fehlt, ist eine breite gesellschaftliche Aktzeptanz, Arme einfach einzusperren und ans Fliessband zu stellen. Aber da arbeiten N24 u.a. ja bereits dran.
Frage: Ihr fordert in eurem Aufruf eine Gesellschaft ohne Gefängnisse und Freiheit für ALLE! Denkt ihr, dass das allen einleuchtet, die die beiden Demos am 31. Dezember auf der Straße sehen werden?
Emma: Vermutlich nicht allen, aber darum gehen wir ja auch auf die Straße. Es ist doch klar, dass wir uns nicht befreien können, so lange Konkurrenz, Ausbeutung und Repression uns daran hindern. Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse ist viel mehr als diese Gesellschaft ohne Gefängnisse. Freiheit beruht auf Solidarität, gegenseitigem Respekt und sicherlich auch auf kollektiveren Ansätzen, als wir sie jetzt leben.
Erich: Der Wille zu einer befreiten Gesellschaft entsteht am dringensten dort, wo die härteste Unterdrückung ist. Knäste sind eben auch Orte, an denen Widerstand möglich ist. Wenn es uns gelingt, Kämpfe drinnen im Knast von draußen erfolgreich zu unterstützen, schwindet die Schere im Kopf oder die Angst vor Haft und damit das angepasste Verhalten. Streiks, Rebellionen, Aufstände sind Chancen für ALLE, aufgezwungene Zustände ins Wackeln zu bringen und zurück zu drängen.
Emma: Naja, fangen wir erstmal klein an und zeigen Gefangenen zunächst, dass wir sie wahrnehmen, mit ihnen solidarisch sind und sie auch Silvester nicht vergessen. Alle Informationen dazu findet ihr auf unserem Blog http://silvesterzumknast.nostate.net/
Frage: Was können interessierte Berliner*innen machen, um euch zu unterstützen?
Emma: Plakate kleben und Flyer verteilen, unseren Jingle überall abspielen, unsere Banner online einbauen und natürlich am 31. Dezember auf die Straße gehen.
Frage: Wir danken euch für dieses Gespräch.
(1) Correctional Corporations of America (CCA): der größte Zusammenschluß von Gefängnisindustrie-Lobbyist*innen in den USA gibt jährlich 300 Millionen US-$ allein im Kongreß aus, um ein Einfluß auf straffverschärfende Gesetze, längere Haftstrafen und „Law and Order“ Diskurse zu nehmen. Dazu wird auf beinahe sämtliche Wahlkämpfe in den einzelnen Bundesstaaten eingewirkt und eine permanente mediale „Law and Order“ Dauerschleife etabliert, welche von der Gefängnisindustrie bezahlt wird.
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Demos / Aktionen in anderen Städten
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