April 2016.
In diesem Jahr wird es am ersten Mai kein Barrio Antifascista im Carlo Giuliani Park in Berlin Kreuzberg geben. Im letzten Jahr haben wir durch die „Stille, die in den Ohren schreit“ gegen eine sinnentleerte Biermeile, von der wir kein Teil sein wollen, protestiert. Zum kommenden ersten Mai sagen wir unsere Arbeit komplett ab.
Diese Absage fällt uns schwer, denn wir haben das Barrio Antifascista gerne organisiert und finden nach wie vor, das wir einen linken, unkommerziellen und solidarischen Space, gerade am ersten Mai in Kreuzberg dringend brauchen. Ein gemeinsamer Ort, an dem sich verschiedenste Menschen treffen und austauschen können, ein Ort an dem wir laut das sagen, was wir zu sagen haben. Ein Ort, der das andere, das rebellische Berlin zum Ausdruck bringt. Ein gemeinsamer Ort von und für Aktivist*innen für vor und nach den Demonstrationen.
Unser Entschluss, diesen Ort nicht noch einmal zu öffnen, ist vielschichtig. Die Stimmung, die wir uns für ein Barrio Antifascista wünschen, droht in der Masse und Belanglosigkeit eines unpolitischen Strassenfestes unterzugehen und das, was wir zu sagen haben, droht in der Unerträglichkeit des Mainstreams zu versinken.
Die Entwicklung, die das MyFest in den letzten Jahren vollzogen hat,
hat für uns nichts, aber auch gar nichts mit einem Anwohner*innen Fest zu tun, noch weniger mit politischer Artikulation, am wenigsten mit dem Ersten Mai als linkem, rebellischem Protesttag. Dieses Strassenfest hat auch nichts mit dem Kreuzberg zu tun, das wir uns vorstellen – es ist vielmehr das Gegenteil von dem, wie wir uns die Stadt wünschen. Es ist ein trauriger Ausdruck dessen, was aus der Stadt geworden ist! Eine Stadt die alle alternativen Kultur- und Lebensentwürfe erfolgreich bekämpft und zerstört hat, ein Ort an dem das Verwertungs- und Kontrollsystem reibungslos funktioniert, in dem alles vermarktet und verkauft wird, was sich irgendwie zu schnellem Geld machen lässt. Eine Stadt für die, die sie sich (noch) leisten können.
Das wir bei diesem Spiel nicht mit von der Partie sein wollen, erklärt sich von selbst. Das es in drei Jahren Barrio Antifascista gelungen ist, einen Ort zu schaffen, an dem eine solidarische Stimmung gelebt wurde und sich ein Raum für radikale kulturelle und politische Artikulation geöffnet hat, ist das Positive und die Inspiration, die wir für das Jahr 2017 mitnehmen wollen.
Trotzdem bleibt unser Resumee, dass diese Idee bei der rasanten Entwicklung um das MyFest in diesem Jahr nicht mehr umgesetzt werden kann.
Wir wissen, das viele Anwohner*innen, Freund*innen und Genoss*innen schon im letzten Jahr einen gemeinsamen Freiraum schmerzlich vermisst haben. Uns geht es genau so und auch wir wünschen uns einen gemeinsamen autonomen und linken Ort, der für Subkultur und politische Statements offen ist.
Diesen neu zu erfinden und zu gestalten, wird die Herausforderung für uns alle im nächsten Jahr sein.
Doch es gibt noch weitere Gründe, warum wir diese Absage formulieren: Als Barrio Antifascista haben wir uns im letzen Jahr an der Organisation eines politischen Konzertes auf dem Oranienplatz beteiligt. Ein Bündnis vieler Gruppen hat an diesem Tag gegen die erneute Verschärfung des Asylrechts demonstriert. Als starken Ausdruck des Ganzen gab es eine Kundgebung mit vielen Redebeiträgen, diversen Bands und 10.000 Demonstrierenden. Wir haben also genau das gemacht, was wir am ersten Mai auch machen, nur mit dem Unterschied, das Polizei, Bezirk und Ordnungsamt alles andere als glücklich über unsere Arbeit waren. Den ganzen Tag über gab es Schikanen und Versuche von Seiten der Polizei unsere Arbeit zu behindern. Dem Anmelder der Veranstaltung werden jetzt diverse Verstösse gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen, unter anderem wegen des Aufstellens von Dixie-Toiletten und des Aufbaus einer Crew-Küche, sowie Tischen und Bänken im Backstagebereich. Nun erhebt das Ordnungsamt eine Geldstrafe von fünfhundert Euro wegen „Caterings ohne Genehmigung“. Es ist dasselbe Ordnungsamt, dieselbe Bürgermeisterin, dieselbe Polizeidirektion die zum Myfest einlädt und sich freuen würde, wenn wir zur Imagepflege etwas linke Folklore darbieten würden. Nix Da!
Wir fordern die sofortige Einstellung aller Verfahren gegen die Anmelder des Konzertes vom 18.04.2015!
Die Vertreter von Polizei, Senat und Ordnungsamt, die sich jetzt die Rettung des MyFests auf die Fahnen schreiben sind dieselben, die verantwortlich sind für die Umwandlung eines ganzen Kiezes im Friedrichshain in ein Gefahrengebiet, sind dieselben, die mit aller Härte versuchen die letzten selbstverwalteten Strukturen in dieser Stadt zu zerstören und zu stressen wo es nur geht.
Die vielbeschworene „Repolitisierung“ des Myfests ist lachhaft und nichts mehr als ein taktischer Schachzug um die Genehmigung als politische Veranstaltung zu erhalten. Politische Artikulation ist aber an allen anderen Tagen in diesem Kiez nicht gewünscht! Proteste gegen Gentrifizierung, Rassismus, polizeiliche Willkür etc. werden nach wie vor kriminalisiert und mit der Härte von Knüppeln und Gesetzen verboten wie u.a. die Erfahrung vom 18.04.2015 zeigt.
Unser Kiez braucht weder ein pseudopolitisches Massenbesäufnis, noch mehr Konsum, Ignoranz und Selbstzufriedenheit. Auch keinen zur Show gestellten debilen Mainstream im Ausnahmezustand – das erleben wir schon die restlichen 364 Tage im Jahr auf dem Schicki-Micki-Öko-Bio-Catwalk oder der Bierbike-Rennstrecke vor unserer Haustür.
Unser Kiez braucht Kollektivität, Nachbarschaft und Solidarität. Wir brauchen Versammlungen um die alltäglichen Belange zu besprechen, unkommerzielle Orte um zusammen zu kommen, Demonstrationen und alternative Artikulation. Unser Kiez braucht Freiheit und Respekt!
In den Wochen nach dem ersten Mai, wenn die Berge aus Plasikmüll und Bierflaschen beseitigt sind, rechnen wir mit der polizeilichen Räumung des Kiezladens M99 in der Manteuffelstrasse. Wir solidarisieren uns mit unserem Nachbarn HG, der dort seinen Laden seit über 30 Jahren betreibt. Wir fordern die sofortige Einstellung der Räumungsvorbereitungen und die Rückkehr an den Verhandlungstisch.
Wir grüssen die räumungsbedrohte Friedelstrasse 54 in Neukölln und den letzten Kilometer Anarchie in Friedrichshain!
Wir unterstützen die Idee eines selbstorganisierten, politischen und unkommerziellen Kiezfestes im nächsten Jahr!
Wir grüssen den Revolutionären ersten Mai auf der ganzen Welt!
Wir grüssen die antifaschistischen Blockaden in Schwerin, in Plauen, Stuttgart und Berlin!
Wir Grüssen die Nuit-Debout-Proteste in Frankreich!
Unsere Solidarität gilt den Geflüchteten die an Europas Grenzen festsitzen! Wir wollen Euch willkommen heissen und fordern sichere Wege und einen würdigen Aufenthalt hier in unserer Stadt!
Hasta Siempre!
Barrio Antifascista, im April 2016
Berlin Kreuzberg.
Wir sehen uns auf der revolutionären ersten Mai-Demonstration um 18 Uhr auf dem Oranienplatz – kommt zum „…Für Alle Block“ und lasst uns zusammen für eine ganz andere Welt demonstrieren!
http://barrioantifascista.blogsport.de/