Namenlos (aktualisierte Version) – Download
Diese Broschüre ist der Versuch einige unterschiedliche Beiträge zu sammeln, die sich mit der Thematik der Anonymität auseinandersetzen.
Der im Vordergrund stehende Streitpunkt dreht sich um die Frage, ob wir uns als Anarchisten, die angreifen und eine schnellst mögliche Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung herbeiführen wollen, zu den diffusen, wilden und unterschiedlichen Attacken, die wir praktizieren, bekennen wollen und unsere Motivationen und Ideen per Kommuniqués kommunizieren wollen.
Man könnte diese Frage als nebensächlich betrachten, mir erscheint es allerdings so als ob eine Diskussion dieser Frage erst deutlich macht, wie wir kämpfen und kämpfen wollen und so von großer Bedeutung und immer von Aktualität ist.
In diesem Sinne soll die Initiative diese Texte zusammenzustellen nicht eine
Trennlinie zwischen vermeintlich unterschiedlichen anarchistischen Lagern
ziehen, sondern viel eher Diskussionen anstoßen, die sich mit den angesprochenen
Ideen und Kritiken beschäftigen und Verwirrungen aus dem Weg räumen. Erst
beleuchten, wie wir angreifen wollen und in was für einem Zusammenhang
diese Angriffe mit unseren Kämpfen in ihrer Gesamtheit stehen, sind wir fähig
eigene Wege auszuloten und auf einer zumindest minimalen Analyse unseres
eigenen Kontextes aufbauend individuelle und kollektive Projekte zu entwickeln,
die nicht schlicht abstrakte Ideen und Konzepte anderer übernehmen. Dass
es nicht einfach ist eine Diskussion zu führen, die auf die Erarbeitung und
Konkretisierung einer Perspektive zielt und nicht auf Sticheleien und eine
Abarbeitung an anderen hinausläuft, zeigen die folgenden zusammengewürfelten
Texte teilweise sicherlich. Über die Zeit und den Ort ihrer Entstehung und die
unterschiedlichen Kontexte und Stile ihrer Autoren hinweg, werfen sie jedoch
alle verschiedene Aspekte zur Frage der Anonymität auf und können so vielleicht
ein wenig Schwung in den mal mehr und mal weniger reißenden anarchistischen
Strom bringen.
Die ersten vier Texte, die einen Dialog zwischen der in griechischen Kerkern
eingeschlossenen ersten Generation der CCF (Verschwörung der Feuerzellen) und
zum Vorschein, die markante Unterschiede auf die Frage umreißen, wie wir mit
unseren Kämpfen zur Generalisierung einer sozialen Revolte beitragen wollen.
Um diese in der Broschüre behandelte Kernfrage der Anonymität des Angriffs
nicht aus den Augen zu verlieren, habe ich die eher allgemeinen und auf andere
Punkte bezogenen Passagen der CCF-Texte nicht abgedruckt bzw. übersetzt.
In diesen ersten vier Texten, steht die Anonymität in einem Kontext einer
Diskussion über anarchistische Methoden und ergibt sich aus Fragen wie:
Wie stellen wir uns die qualitative und quantitative Intensivierung von
aufständischen Spannungen vor? Als einen sich ausbreitenden anarchistischen
Stadtguerillakrieg, dessen internationale Fronten verschiedene Guerillagruppen
vereinen und deren Mitglieder nach dem immer gleichen Vorgehen über
Internetseiten ihre Angriffe bekennen, sich so koordinieren und für ihre eigenen
Zellen werben? Oder als eine Entwicklung von Kämpfen, die Brüche in den
Strukturen der Herrschaft provozieren und ihre Stärke aus der sozialen Verbreitung
und damit der Vielseitigkeit des Angriffs und der Selbstorganisation ziehen?
Wenn wir die Auffassung teilen, dass ein Aufstand nicht alleine von Anarchisten
realisiert wird, sondern von einer Vielzahl an rebellierenden Individuen, müssen
unsere Kämpfe unsere soziale Isolation und unsere selbstgeschaffenen Ghettos
kommunizieren. Mit Kommunikation im Sinne einer Verständigung untereinander,
im Sinne von Umgang, Verkehr, dem Aufbau von Verbindungen, meine ich
nicht, dass wir den Massen hinterherlaufen müssen, auf sie warten sollten oder
möglichst viele Zuhörer vor uns und Anhänger hinter uns versammeln müssen.
Wer will, dass eigene Ideen und Taten verstanden werden, muss kommunizieren,
also deren eigene individuelle Bedeutung transparent machen und die hinter den
Ideen und Taten stehenden Überlegungen verdeutlichen. Jedoch wäre es naiv zu
glauben, dass diese Kommunikation mit dem Abschicken eines Kommuniqués
erledigt sei und dass unsere Kritiken, unsere Ideen und Vorschläge, wie wir
gegen das Bestehende kämpfen wollen, so für die Leute verständlich wären in
deren Nähe wir leben und in deren Nähe wir Angriffe vollstrecken (wenn sie
überhaupt Zugriff auf das Kommuniqué haben). Diese Gewohnheit beschneidet
das Repertoire an Mitteln und Waffen, die wir uns nur anzueignen und zu
entwickeln brauchen. Kommunikation entsteht in einem direkten Verhältnis, ohne
Vermittler, seien es die Massenmedien oder das Internet. Kommunikation ergibt
sich da, wo wir zu einem Menschen über seine Individualität einen echten Zugang
gewinnen, da, wo Sachen konkret und subjektiv also individuell erlebt werden,
Eigenart innerhalb des direkten Kontextes beiwohnt. Hier ist der Punkt, wo das
niemals endende Experiment beginnt, die unterschiedlichen Mittel der Revolte
zu kombinieren, zu verquicken und sich an Unberührtes zu wagen. So entfalten
wir unsere wirkliche Gefahr, indem wir mit dem Politischen brechen und zu
Diskussionen, Feuern und Büchern, Sabotagen und Überlegungen, Agitation und
wir angreifen, erklären sich die Angriffe für diejenigen, die sie nicht verfälschen
oder verleumden wollen, durch den Kontext, durch das was, wie, wo und wann.
Wenn dem nicht so ist, liegt es an uns diese Kritik auf die Straße zu tragen. Und
wenn eine Kritik nachvollziehbar ist, ist es egal, wer angegriffen hat, nein, es ist,
schön, dass wir es alle gewesen sein können. Und da nur das allen gehören kann,
was niemand besitzt, haben wir nur die Möglichkeit etwas auf unterschiedliche
Art und Weise zu interpretieren, wenn es niemand für sich beansprucht. Wie
viel mehr Reiz hat es doch nicht wissen zu müssen, ob es nun ein Gefährte, ein
arbeitsscheuer Prolet, einige erlebnisorientierte Jugendliche, ein Sprüher, einige
Schulschwänzer, mein Nachbar oder jemand anderes war, der heute Morgen die
Zuggleise sabotierte… das Kommuniqué entpuppt an diesem Punkt die Urheber
der Aktion und drängt den mit dem Angriff Solidarischen die Frage auf, wie sie zu
den im Kommuniqué aufgetischten Erklärungen stehen. So bezieht sich Solidarität
ferner nicht mehr nur darauf, ob man mit den Angriffen anderer solidarisch ist und
die Stoßrichtung dieser durch eigene Initiativen bestärkt, sondern auch darauf,
welche Worte, Grüße und Phrasen, Akronyme und Embleme man dem eigenen
Angriff beifügt oder ob man gar den Namen anderer annimmt, da man auch zu
der xy-Guerillagruppe gehören will. Auf diese Art droht der Bereich der Praxis,
das Feld, wo an sich jede Attacke richtig und wichtig ist, ein Platz zur öffentlichen
Zurschaustellung von identitären Konzepten zu werden, die Gefahr laufen uns
zu vereinnahmen, wenn wir nicht zwischen der Solidarität mit Angriffen und der
absoluten Solidarität mit bestimmten Splittergruppen differenzieren.
Es wäre ein fataler Trugschluss zu glauben, dass wir unserer Isolation durch
virtueller Zusammenhalt durch das Spektakel und die Selbstbestätigung des
Internets gespeist wird. Als Anarchisten dürfen wir keine Angst davor haben auf
uns alleine gestellt dazustehen; wir sind von jeher einsam. Die Idee, dass wir
mit der Bildung gemeinsamer internationaler Fronten auch selbstredend eine
internationale Gefahr für die Macht darstellen, ist eine Illusion, die uns davon
abhält die wahre Gefahr im Auge zu behalten, die die Anarchisten in sich bergen:
Dass sich ihre Ideen und Methoden unter den Ausgebeuteten verbreiten und sich
Individuen nicht mehr der Vorherrschaft, der Gewalt und den Normen eines Spuks
oder eines konstruierten Kollektivs unterwerfen und zur Erfüllung ihrer eigenen
Leben zum Angriff übergehen.
Da eine echte Gemeinschaft nur zwischen voll entfalteten Individuen möglich ist,
ist eine Organisation immer nur ein Instrument und kein Zweck. Sie ist temporär,
ihr. Ansonsten wird sie eine Abstraktion, die uns für ihre eigenen Erfolge benutzt.
In diesem Zusammenhang und dem Sinn und Unsinn einer anarchistischen
Methode Zellen, Unterzellen, Fronten und Föderationen zu gründen und was das
eigentlich mit informeller Organisation gemein haben soll, reiben sich die ersten
Frage der Organisation eng mit der Frage verbunden ist, wie wir – mit Anarchisten
und/ oder mit anderen Halunken und Ganoven – kommunizieren wollen. Gerade
deswegen gilt es Fragen aufzuwerfen, Erfahrungen auszutauschen und sich aus
altbekannten und behüteten Nischen herauszuwagen um Pfade auf dem Terrain
der Informalität auszuloten, die in Richtung einer unverfälschten, schamlosen und
herauslaufen, und so subversive Experimente ermöglichen, die nicht schon von
vorneherein durch ihren konzeptionellen Charakter an Grenzen stoßen.
mit der Neu-Übersetzung Max Stirners beschäftigt ist, behandelt vor allem die
Frage der Identität, die Unmöglichkeit seine Individualität in einen Namen oder
in Sprache und Kategorien generell auszudrücken und die Gefahren, mit einer
festen Identität zu verschweißen, aber auch die Freude, die einem die Benutzung
einer falschen Identität einbringen kann. Gerade im deutschsprachigen Kontext,
in dem die Tradition der bewaffneten und militanten Kämpfe ohnehin sehr
speziell ist, ist auch die Tradition Bekennerschreiben zu verfassen, „autonome
Gruppen“ etc. zu gründen, das Militanz-Verständnis und das Organisieren von
Demos, Angriffen und Kampagnen über vielen anderen Krempel hinweg auch
immer daran gebunden, eine feste Identität anzunehmen und sich vor einem realen
objektive Argumente für die eigene Meinung auf den Tisch zu bringen. So
müssen für gewöhnlich der und der Anlass, die und die Misere und jene Opfer von
Gemeinheiten hinhalten um das eigene Handeln zu legitimieren. Anstatt einfach
der eigenen Motivation, Situation und Inspiration folgend zur Tat zu schreiten
und das Geschehene für sich sprechen zu lassen und unmittelbare, verbindliche
Auslegung derer, die sich über die Tat freuen, da sie entweder den konstruierten
nicht teilen.
Der sechste und der siebte Text stammen aus der Zeitung Der Communist
von Conrad Fröhlich und entstanden in der Blütezeit der Propaganda der Tat.
Sie nehmen Bezug auf damals aktuelle Angriffe wie die Haymarkerket-Bombe,
auf die Angriffe und Verhaftungen der französischen Anarchisten rund um
Ravachol und die Gefangenschaft anderer „großer“ Anarchisten und betrachten
die Anonymität so vor allem als einen Schutz vor den Fängen und Verliesen des
Staates. Viel zu viele Anarchisten wurden eingekerkert, weil sie ihre Namen Preis
gaben, und dachten, dass ihre Gefangenschaft das Hereinbrechen der Revolution
nur beschleunigen würde. Doch damals wie heute sollten wir uns davor hüten zu
glauben, dass wir um so gefährlicher sind desto härter der Staat gegen uns vorgeht.
Auch wenn ein Anarchist von Natur aus riskiert vom Staat gefangen oder getötet
zu werden, sind wir keine entschlosseneren und konsequenteren Anarchisten,
wenn wir als Geisel genommen werden, im Kampf sterben oder auch nur davor
keine Angst mehr haben. Dieses Streben nach revolutionärem Purismus fördert nur
Märtyrertum und die Kristallisation von Avantgarde-Identitäten. Verwundbar sind
die, die nicht offen mit Ängsten und Schwächen umgehen wollen, und gerade die
Angst vor der Repression ist ein Raum, in dem Furcht und Offensive miteinander
verbunden werden müssen und das eine mit dem anderen verschweißt.
Auch Conrad Fröhlichs Ideen im Eingehen auf die Anonymität in der
Autorenschaft ist auch über die historische Bezugnahme auf Repression hinweg
interessant und wirft einige Fragen auf. Inwiefern koppeln wir mit der Benutzung
von Namen, seien es auch nur Pseudonyme, unsere momentanen Überlegungen
und Ideen an eine Identität und konstruieren so eine Darbietung abgepackter
warenförmiger fester Meinungsblöcke, die uns immer anhaften? Oder inwiefern
ist eine egoistische Aneignung von Ideen leichter, wenn Texte anonym sind und
es keine Rolle spielt, wer was geschrieben hat? Und wie oft beurteilen wir Texte
auf Grund des Autoren-Namens und nicht des Inhalts?
Der letzte Text der Broschüre geht aufbauend auf eine kurze Analyse, die
beleuchtet inwieweit Nachrichten und Medien unsere Wahrnehmung der Welt
Frage bezüglich der Anonymität ein, der sich die anarchistischen Zeitgenossen
stellen müssen: Wie machen wir die stattgefundenen Angriffe auch über ihren
direkten Rahmen hinaus sichtbar oder wollen wir das überhaupt?
Auf einer internationalen Ebene stechen die Angriffe ins Auge, die auf
einschlägigen Internetseiten präsentiert werden und es ist ein Leichtes gehörig
anarchistische (und polizeiliche) Aufmerksamkeit zu erwecken, wenn es einem
wert ist eine Menge von Attacken so ins Rampenlicht zu rücken. So werden
die selektierten und entkontextualisierten Neuigkeiten dem globalen Zirkel der
üblichen Verdächtigen nach Hause geliefert und ein Kreislauf entfacht, indem
ein Upload auf ein anderes antwortet und Handlungen sich durch und dank dem
Internet ständig auf einander beziehen, oft ohne eine darüber hinaus gehende
Überlegen mitzuteilen. Einerseits bieten diese internationalen Plattformen uns die
Möglichkeit schnell von Neuigkeiten zu erfahren und zumindest von einigen der
praktizierten Angriffe und Kämpfe anderer mitzubekommen, aber andererseits
Betonung und Beständigkeit verpufft und die auch nur von und mit einem Milieu
bestehen können, das sich durch seine Selbstbezogenheit in die eigenen Räume
einsperrt. Lenkt dieser internationale unendliche Nachrichten-Strom uns nicht
davon ab, was um uns herum, in unserem direkten Umfeld und dessen sozialen
Oder ist es überhaupt wichtig wissen zu müssen, was für Nadelstiche am anderen
Ende der Welt die Adern der Herrschaft verletzen, wenn man keine Ahnung von
den Gegebenheiten der dortigen Situation und anarchistischen Kämpfen hat?
Aber auch auf lokaler Ebene, fernab von einer internationalen Kommunikation
unter Anarchisten – was für Mittel, Wege und Ideen haben wir um die hier und
unsichtbar oder „übersehbar“ gemacht zu werden? Wie lassen wir die Taktik
der sozialen Befriedung Angriffe einfach tot zu schweigen, sodass letztendlich
nur die Angreifer und die Angegriffenen vom Angriff wissen, ins Leere laufen
und ermöglichen so eine offene Kommunikation und Bezugnahme ohne jegliche
mediale Kommunikation?
Ich denke, dass einige dieser Fragen und die nun folgenden Texte Diskussionen
anstoßen können, die uns weiterhelfen werden, eigenwilliger und direkter in
entwickeln, wie wir den sozialen Frieden und dessen Mentalität durch kreative
und unverblümte Angriffe und facettenreiche Kommunikation destabilisieren.
Eine solche Diskussion lässt sich nicht führen ohne unsere Ideen am Stand der
Dinge abzumessen, Erfahrungen zu sammeln, unsere Schritte zu überdenken und
unseren Leben und unseren Projekten, konkret bedeuten, was hinter ihnen steckt
und wie sich diese Gesamtheit aus Ideen und ständigen Versuchen und Initiativen
voranbringen lässt; gen neuer Perspektiven und jenseits der alten Modelle.