Antifa Januar München

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Kaum ist das Weihnachtsessen verdaut und der Sylvesterkater besiegt, geht es für die antifaschistische und antirassistische Linke in München auch schon wieder los: In München stehen im Januar zwei große Ereignisse für die radikale Linke an: Wir kriegen Besuch aus der Keupstraße –  anlässlich der Verhandlung des Terroranschlags gegen die Bewohner_innen der Kölner Keupstraße im Juni 2004, rufen Überlebende des Anschlags, das Kölner Bündnis ‘Keupstraße ist überall’ und das Münchner ‘Bündnis gegen Naziterror und Rassismus’ und bundesweite Zusammenhänge zu einem Aktionstag und einer Demo auf.

Doch während die Überlebenden aus Köln für die Aufklärung des NSU-Komplexes und ein Ende rassistischer Gewalt auf die Straße gehen, ist die Bedrohung durch rassistische Mobilisierungen und Anschläge in Deutschland keineswegs geringer geworden, geschweige denn gebannt: Seit einigen Wochen demonstriert in Dresden der deutsche Mob gegen Flüchtlinge, (vermeintliche) Muslim_innen und so ziemlich jede zivilisatorische Errungenschaft, die Deutschland und dem kapitalistischen Normalvollzug abgerungen werden konnte. Nachdem in Dresden zuletzt knapp 20 000 rechte Wutbüger_innen auf die Straße gingen, erheben in München gleich mehrere rechte Zusammenhänge Anspruch auf „Volkes Stimme“. Während BAGIDA (Bayern gegen…) zwar einen Aufmarsch, aber noch keinen Termin angekündigt hat, prescht MÜGIDA (München gegen…) voran. Die Gruppierung hat nach einer kleinen Kundgebung am 22. Dezember 2014 für den 5. Januar 2015 einen ersten Marsch durch München angekündigt.

Damit ihr dabei nicht den Überblick verliert, haben wir wichtige Infos für den Antifa-Januar in München zusammengestellt.


 

KEUPSTRASSE IST ÜBERALL

Am 9. Juni 2014 jährte sich der Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße zum zehnten Mal. 2004 hatten der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in der Keupstraße, eine Nagelbombe gezündet, mit dem Ziel, möglichst viele (vermeintlich) nicht-deutsche Menschen zu ermorden und Terror zu verbreiten. Die Keupstraße war nicht zufällig Ort des Anschlags. Hier leben viele Menschen, die selbst oder deren Eltern- und Großeltern als Migrant_innen nach Deutschland gekommen sind. Nur durch glückliche Zufälle überlebten alle teils schwer verletzten Opfer des Anschlags. Nach dem Anschlag folgte eine Welle der Einschüchterung und der Diffamierung. Anstatt ein mögliches rassistisches Motiv ernst zu nehmen, suchte die Polizei die Täter_innen unter den Anwohner_innen der Keupstraße und bezichtigte wahlweise die PKK oder ‘türkische Mafiastrukturen’ und meinten damit einer rassistischen Logik folgend die Bewohner_innen der Keupstraße selbst.

Im Januar 2015 wird der Anschlag in der Kölner Keupstraße, der größte mehrerer Bombenanschläge des NSU Thema im Münchner NSU-Prozess. Bereits seit Monaten planen Überlebende des Anschlags und antirassistische und antifaschistische Gruppen aus ganz Deutschland gemeinsame Aktionen zur Keupstraße. Im gemeinsamen Aufruf heißt es dazu:

„Es werden viele Menschen aus Köln nach München kommen und durch verschiedene Veranstaltungen, Aktionen und ihre bloße Präsenz im Gericht ein sichtbares Zeichen setzen! Sieben Jahre lang wurde die Keupstraße terrorisiert – nun ist der Moment gekommen, geschlossen und unmissverständlich in München unserer Wut und Empörung Ausdruck zu verleihen. Deshalb brauchen wir Unterstützung von allen gesellschaftlichen Gruppen, denen bewusst ist, dass der Gerichtsprozess alleine nicht ausreichen wird, die spezielle Geschichte des Attentats und die jahrelangen Drangsalierungen der Opfer aufzuklären und die Ursachen des Naziterrors zu beseitigen.“

Beteiligt euch an den Aktionen rund um die Keupstraßen-Verhandlung. Meldet euch beim Münchner ‘Bündnis gegen Naziterror und Rassismus’, wenn ihr die Aktionen in München unterstützen wollt.

Dienstag 20. Januar 2015, München

ab 9 Uhr Aktionstag vor dem Strafjustizzentrum München, Nymphenburgerstraße 16 (U1/ Tram 20/21 Stiglmaierplatz),

17:30 bundesweite antifaschistische und antirassistische Demonstration, Auftaktkundgebung vor dem Strafjustizzentrum

Nach der Demonstration ist ein Treffen aller Beteiligten in den Räumen von Werkmünchen an der Dachauerstraße 114 (Trambahn-Haltestelle Leonrodplatz) geplant.

weitere Informationen (auch bzgl. der Anreise aus Köln etc.) findet ihr bei der Initiative Keupstraße ist überall und beim Münchner Bündnis gegen Naziterror und Rassismus. Hier werdet ihr auch aktuelle Infos und News zu den Aktionen finden. Den gemeinsamen, bundesweite Aufruf findet ihr u.a. hier. Einen ergänzenden Aufruf der Gruppen ‘antifa nt’ aus München und des ‘Antifa AK Cologne’ findet ihr hier.


PEGIDA? MÜGIDA? BAGIDA? – #NOGIDA!

Wie aktuell die Bedrohung durch Rassist_innen auch nach der Selbstenttarnung des NSU, zeigen erschreckend eindrucksvoll die momentanen PEGIDA-Mobilisierungen. In Dresden marschierten zuletzt knapp 20 000 Rassist_innen gegen Flüchtlinge, (vermeintliche) Muslim_innen und für den Erhalt des rassistischen Status quo. Bundesweit versuchen verschiedene Rechte an die Mobilisierungserfolge von PEGIDA anzuknüpfen. In München haben sich zwei Gruppierungen gebildet, die beanspruchen PEGIDA-Proteste nun auch in München durchzuführen: BAGIDA und MÜGIDA. Während BAGIDA zwar Aktionen im Januar in München angekündigt hat, aber noch keinen Termin veröffentlicht hat, hat MÜGIDA in Person des ehemaligen Generalsekretärs der rassistischen Kleinstpartei „Die FREIHEIT“ Thomas Weiß für kommenden Montag, den 5. Januar einen Marsch angekündigt. Bereits am 22. Dezember 2014 veranstalteten knapp 30 MÜGIDAS eine Kundgebung in der Münchner Innenstadt während vor der Oper über 15 000 Menschen gegen PEGIDA und rassistische Hetze und für Solidarität, Bleiberecht und offene Grenzen auf die Straße gingen. Bei ihrem zweiten Auftritt wollen die Mügidas am 5. Januar ab 18:30 vom Sendlinger Tor zum Max-Josephs-Platz demonstrieren. Antifas rufen zu Gegenprotesten am Sendlinger Tor auf.

Bis jetzt scheint es so, als würde es keine Kooperation zwischen BAGIDA und MÜGIDA geben, da zwischen einzelnen Akteuren politische und persönliche Konflikte herrschen, etwa zwischen Michael Stürzenberger, der BAGIDA (mindestens) nahesteht und Thomas Weiß, dem Anmelder der MÜGIDA-Demo). Es bleibt allerdings abzuwarten, ob es nicht doch zu gemeinsamen Aktionen kommen wird. Auf jeden Fall wird es wichtig sein, dem rassistischen Mob von Anfang an seine Grenzen aufzuzeigen und rassistische Märsche à la Dresden in München mit allen Mitteln zu verhindern. Dass Nazis und Rassist_innen in München einen nicht unerheblichen Nährboden haben, zeigen nicht zuletzt die rassistischen Mobilisierungen gegen Refugees rund um die Bayernkaserne im Münchner Norden im Sommer diesen Jahres.

Die Morde und Anschläge des NSU hatten ihren Ursprung in der rassistischen Mobilisierung und Gewalt Anfang der Neunziger Jahre. Auch im letzten Jahr waren vor allem Flüchtlinge Ziel rassistischer Anschläge. Erst vor einigen Wochen zündeten rassistische Täter_innen die Gebäude einer geplanten Flüchtlingsunterkunft im fränkischen Vorra an und sprühten rassistische Parolen. Im Januar 2014 brannte in Germering bei München eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft. Die Täter_innen wurden bis heute nicht ermittelt.

Stoppen wir die Brandstifter! Kein MÜ-, BA-, PEGIDA-Marsch in München und anderswo!

Montag, 5. Januar 2015 18:00 Gegenproteste gegen den rassistischen MÜGIDA-Aufmarsch am Sendlinger Tor

Alle Infos, Ankündigungen und News rund um die antifaschistischen und antirassistischen Proteste gegen BAGIDA, MÜGIDA und Co. findet ihr aufnobagida.blogsport.eu. Haltet euch auf dem Laufenden! Einen längeren Aufruf gegen die aktuellen rassistischen Aufmärsche gibt es bei der antifa nt.


Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Mobilisierungen und Veranstaltungen in und aus München heraus:

 

BUS NACH MAGDEBURG

 

Der Antifa Stammtisch München organisiert eine Busanreise zu den antifaschistischen Protesten gegen einen Nazigroßaufmarsch in Magdeburg am 17. Januar 2015. Infos findet ihr unter: asm.blogsport.de

 

BUS NACH WIEN

 

Die ‘antifa nt’ empfiehlt am 30. Januar eine Busreise nach Wien, wo es auch heuer wieder antifaschistische Proteste gegen den burschenschaftlichen und rechts/reaktionär/rassistischen WKR-Ball geben wird. Infos findet ihr unter: antifa-nt.de

AIDA WIRD 25

Beendet wird der Antifa-Januar mit einer großen Party! Das antifaschistische AIDA-Archiv wird 25 und alle feiern mit. Am 31. Januar 2015 ab 20:00 im Feierwerk. Es spielen EGOTRONIC, TULA TROUBLE, ECCO MEINEKE & DIE SHTETLMUSIKANTEN. Alle Infos gibt’s hier.

Während wir schon den Januar planen, hat das AIDA-Archiv einen kurzen, lesenswerten Rückblick zu Nazis und rassistischen Mobilisierungen 2014 veröffentlicht:Rechtsunten. Ein Rückblick auf 2014

 

Auf nach München. Und weiter.

Positionspapier der Antifaschistischen Koordination Köln und Umland (AKKU) Am 20. Januar 2015 werden die ersten Betroffenen des Kölner Nagelbombenanschlags im NSU-Prozess am Münchener Oberlandesgericht befragt. Manche treten als Zeug*innen, andere als Nebenkläger*innen – oder beides – im Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte aus dem Untersützer*innen-Netzwerk des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) auf. Die juristische Aufarbeitung der Taten des NSU soll im Prozess in München passieren. Ob das gelingen kann, bezweifeln wir – und dennoch: Dies ist bisher der einzige öffentliche, vom Staat gegebene Raum, in dem die Betroffenen des NSU eigene Forderungen stellen und ihre Perspektive darlegen können.

 

Am 20. Januar 2015 werden die ersten Betroffenen des Kölner Nagelbombenanschlags im NSU-Prozess am Münchener Oberlandesgericht befragt. Manche treten als Zeug*innen, andere als Nebenkläger*innen – oder beides – im Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte aus dem Untersützer*innen-Netzwerk des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) auf.
Nachdem am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße eine vom NSU deponierte Nagelbombe explodierte und 22 Menschen teils schwer verletzte, konzentrierten sich die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden ausschließlich auf die Opfer und deren Angehörige. Jahrelang waren sie Verdächtigungen und rassistischen Zuschreibungen ausgesetzt, gleichzeitig blieb eine solidarische Unterstützung seitens der Kölner Öffentlichkeit aus. Die Betroffenen machten eine doppelte Gewalterfahrung; indem sie erst von dem Anschlag selbst, dann von der Nicht-Unterstützung und dem institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus getroffen wurden.
Wir werden zusammen mit der Initiative „Keupstraße ist überall“ die Betroffenen solidarisch nach München begleiten. Gemeinsam stellen wir die Forderungen nach schonungsloser Aufklärung und werden unseren Protest gegen die jahrelange Diskriminierung auf die Straße tragen. Warum wir es aus antifaschistischer Perspektive wichtig finden, gemeinsam nach München zu fahren, haben wir in diesem Aufruf formuliert.

 

Wie reagierte die (Kölner) Antifa?
Anfang der 1990er Jahre verübten Neonazis und rassistische Bürger*innen zahlreiche Pogrome und Brandanschläge, beispielsweise in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Diese und die nachfolgende Welle rechter Gewalt richtete sich in Ost- und Westdeutschland gegen Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Geflüchtete. In NRW findet sich ein Beispiel für einen solchen Brandanschlag in Solingen, wo 1993 gezielt das Wohnhaus einer in Deutschland lebenden Familie als Anschlagsziel herausgesucht wurde. Fünf Menschen starben bei dem Brandanschlag. Kurze Zeit später, 1996, brannte in Lübeck eine Flüchtlingsunterkunft. Zehn Menschen wurden dabei ermordet. An diesen Fällen wird deutlich, dass weder das Ziel des NSU, etablierte Migrant*innen zu treffen, neu war, noch das Vorgehen der Ermittlungsbehörden, die Opfer zu Tätern zu machen. Wenige Tage nach dem Anschlag in Lübeck präsentierten Polizei und Staatsanwaltschaft einen angeblichen Täter: Safwan Eid, einer der Bewohner, der zusammen mit seiner Familie Opfer des Brandes war. In diesem Fall wurde von linker Seite interveniert und darauf hingearbeitet, dass die wahren Täter*innen gefunden wurden. Safwan Eid wurde, wenn auch erst nach vielen Jahren, letztendlich freigesprochen.

Was war hier anders als in Köln? Warum waren Antifaschist*innen in Bezug auf den Anschlag in der Keupstraße auf dem rechten Auge blind?
Wenige Wochen vor dem Anschlag in der Keupstraße löste sich die damals einzige handlungsfähige Antifa-Gruppe in Köln, die „Antifa K“, auf. Dadurch fehlte eine antifaschistische Struktur, in der der Nagelbomben-Anschlag hätte diskutiert werden können. Das allein reicht als Erklärung lange nicht aus, schließlich gab es die Antifaschist*innen noch, ebenso Antira-Kreise in der Stadt.
Anders als in Solingen und Lübeck z.B. waren die Täter*innen nicht in die regionale Neonazi-Szene eingebunden. Es gab im Vorfeld keine Häufung rechter Gewalttaten, die auf diese Eskalation hingedeutet hätte. Außerdem galt ein Nagelbombenanschlag nicht als „typisches“ Tatmittel wie Totschlag oder ein Brandanschlag, sondern setzte Spezialwissen voraus, dass der lokalen Neonazi-Szene schlichtweg nicht zugetraut wurde. Diese Analyse beruhte auf eigenen Einschätzungen und Erkenntnissen, die das Ausmaß der Verstrickungen allerdings nicht erfassen konnten.
Zwar gab es eine Aktion zum Anschlag auf der Keupstraße und ein Flugblatt, aber darüber hinaus nicht viel Widerstand – auch nicht gegen die Kriminalisierung der Anwohner*innen. Es bestanden damals kaum Kontakte zu den Bewohner*innen der Keupstraße. Auch nach dem Anschlag wurde nicht versucht, diese Kontakte zu den Betroffenen herzustellen. Hier müssen wir selbstkritisch sein: wir als Antifaschist*innen waren nicht frei von Vorurteilen, und auch wir nahmen die Keupstraße teilweise als „Parallelwelt“ wahr.

 

Was ist seitdem passiert?
Die Aufarbeitung der NSU-Anschläge begann erst nach seiner Selbstenttarnung im November 2011 und ist noch lange nicht abgeschlossen. Und: die bisherige Bilanz fällt ernüchternd aus.
Das Entsetzen der breiten Öffentlichkeit war zwar groß, als die Taten des NSU ans Licht kamen, eine grundsätzliche gesellschaftliche Debatte über Rassismus in Deutschland hat sie dennoch nicht nach sich gezogen. Vereinzelt gab und gibt es zwar Zeichen gesellschaftlicher Solidarität, wie beispielsweise das Straßenfest „Birlikte“ in der Keupstraße im Juni 2014. Diese Solidaritätsbekundungen gehen aber häufig nicht über den einen Moment hinaus und formulieren keinen Zusammenhang zwischen der Kontinuität des Rassismus in der Gesellschaft und den einzelnen Taten des NSU. So fehlt die Auseinandersetzung mit dem institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus, der diese Taten erst möglich gemacht hat. Außerdem wird oft vergessen, dass der NSU auf die Zusammenarbeit mit gewachsenen Neonazi-Strukturen in der Region angewiesen war, die wiederum vom Verfassungsschutz mitfinanziert wurden. Viel zu oft bleiben diese Zusammenhänge unerwähnt – und so bleibt die Legende der isolierten Einzeltäter*innen bestehen.

Auf politischer Ebene wurden nach der Selbstenttarnung parteiübergreifend Aufklärung und Konsequenzen versprochen. Die meisten dieser Versprechungen haben sich als leere Phrasen erwiesen und müssen in den Ohren der Betroffenen wie blanker Hohn klingen. Zwar bieten die eingesetzten Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern einen Raum für die öffentliche Auseinandersetzung und haben auch erstaunliche Ergebnisse zu Tage gefördert. Allerdings bleiben viele zentrale Fragen weiterhin ungeklärt. Die Abschlussberichte der Untersuchungsausschüsse geben dem institutionalisierten Rassismus der Behörden nicht genug Gewicht, unter dem die Betroffenen auch nach den Anschlägen jahrelang gelitten haben. Dass die Kontinuität des gesellschaftlichen Rassismus auch nach der Selbstenttarnung des NSU ungebrochen ist, zeigen die aktuellen rassistischen Mobilisierungen im ganzen Bundesgebiet. Politiker*innen von CDU und CSU befeuern diese Debatten, indem sie heute wieder Verständnis für die „Sorgen der Bürger*innen“ zeigen, anstatt neue Bewegungen wie „HoGeSa“ und „Pegida“ zu verurteilen und zu bekämpfen. Hier wird mehr als deutlich, dass keine Lehren aus der rassistischen Gewalt der Vergangenheit gezogen wurden.

Gleiches gilt für die Sicherheitsbehörden. Die Verantwortlichen für die rassistischen Ermittlungspraktiken wurden bis heute nicht in die Verantwortung genommen. Im Bericht des Bundes-Untersuchungsausschusses wird das Vorgehen der Polizei verharmlost, es wird weiterhin von „Fehlern“ anstelle von institutionellem Rassismus gesprochen. Auch die Kontakte zwischen Verfassungsschutz und Neonaziszene sind nach wie vor eng. Die Frage, ob auch in Bezug auf den NSU Verbindungen verschleiert werden, ist immer noch nicht geklärt. Stattdessen wurden die staatlichen Sicherheitsstrukturen sogar noch weiter ausgebaut: Neben der Aufstockung der Etats vieler Innenministerien wurde ein sogenanntes „Bund-Länder-Extremismus-Abwehrzentrum“ eingerichtet.
Das alles zeugt nicht vom Willen, das Problem an der Wurzel zu packen und noch nicht einmal vom Versuch, durch lückenlose Aufklärung das verlorene Vertrauen der Betroffenen zurückzugewinnen.

Warum nach München und weiter?

Die juristische Aufarbeitung der Taten des NSU soll im Prozess in München passieren. Ob das gelingen kann, bezweifeln wir – und dennoch: Dies ist bisher der einzige öffentliche, vom Staat gegebene Raum, in dem die Betroffenen des NSU eigene Forderungen stellen und ihre Perspektive darlegen können. Doch selbst das wird ihnen sehr erschwert: Aus Sicht des vorsitzenden Richter Manfred Götzl halten die Darstellungen der Nebenkläger*innen und ihrer Anwält*innen nur den Fortgang des Prozesses auf. Ihnen wird das Wort abgeschnitten, die Mitteilungen der Nebenklage werden als unliebsame Störungen behandelt. Und das in unmittelbarer Nähe zu den Neonazis, die sie am liebsten tot gesehen hätten.

Auch deshalb haben die Betroffenen auf der Keupstraße um Unterstützung gebeten, wenn sie unter diesen schwierigen Bedingungen vor dem Gericht in München aussagen sollen. Das Verhältnis zu staatlichen Einrichtungen hat sich auch zehn Jahre nach dem Anschlag nicht normalisiert, wie sollte es auch. Zu diesem Zweck, der solidarischen Unterstützung, hat sich die Initiative „Keupstraße ist überall“ gegründet, der wir angehören. Am 20. Januar 2015 möchten wir mit möglichst vielen Menschen nach München fahren, um die Betroffenen vor Ort zu unterstützen.
Für uns als Antifa-Gruppe sind die geplanten Aktionen und die Demonstration in München aus vielerlei Gründen wichtig. Wir wollen dort unsere Forderung nach der Aufklärung des NSU-Komplexes – mitsamt der Verstrickungen der Behörden – erneuern. Solange institutioneller und gesellschaftlicher Rassismus aus der Diskussion ausgeklammert wird, glauben wir nicht an eine Aufarbeitung. Solange Verfassungsschutz und Nazis Hand in Hand gehen, können sich neonazistische Gewalttaten immer wieder wiederholen. Und solange „das Volk“ lieber gegen Geflüchtete und die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ hetzt, statt sich um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den eigenen rassistischen Strukturen zu bemühen, wird auch niemand widersprechen. Wir wollen nach München fahren, um diese Zusammenhänge aufzuzeigen, die unbequemen Fragen erneut zu stellen und die bisher ausgebliebenen Konsequenzen zusammen mit den Betroffenen einzufordern. Das Problem heißt Rassismus und es löst sich nicht von alleine!
Wir wollen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Viel zu selten gelang eine nachhaltige Zusammenarbeit mit den von rechter Gewalt betroffenen Menschen. Wir müssen uns mit ihrer Perspektive beschäftigen, und diese Auseinandersetzung führt uns nach München.
Im ganzen Bundesgebiet haben sich ähnliche Initiativen wie „Keupstraße ist überall“ gegründet, um gesellschaftlichen Rassismus zu thematisieren und Betroffene von rechter Gewalt vor Ort zu unterstützen. Gemeinsam haben wir das bundesweite Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ gegründet. Die Arbeit in der Initiative und diese bundesweite Entwicklung haben uns noch etwas anderes gezeigt: Diese Arbeit kann nach der Mobilisierung nach München nicht enden. Auch nach Ende des Prozesses muss die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex weitergehen, am Besten in Zusammenarbeit mit Betroffenen des NSU. Die Annäherung zwischen Antifaschistischen Initiativen und migrantischen Communities wie denen der Keupstraße muss weiter ausgebaut werden, wir können nur gemeinsam die kommenden Herausforderungen stemmen.
In diesem Sinne: Auf nach München. Und weiter.

 

Wie kann ich mit nach München kommen? Fahr mit uns mit dem Bus!

Alle nötigen Infos findest du hier: keupstrasse-ist-ueberall.de

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