Editoral:
Die Basis für die Revolte gegen die alltägliche Misere ist eine Kritik der Gesellschaft. Um sich nicht länger den Mechanismen der Kontrolle zu unterwerfen müssen wir aufhören, auch nur temporär oder teilweise an das ideologische Fundament dieser Mechanismen zu glauben. Für AnarchistInnen ist diese Kritik eine radikale, denn sie ist nicht auf eine bestimmte Form von Herrschaft beschränkt, sondern zielt auf alle Manifestationen der Herrschaft in der Gegenwart, der
Vergangenheit und der Zukunft.
Die anarchistische Kritik bewegt und provoziert, denn sie demystifiziert die moralischen Grundlagen der Gesellschaft. Potenziell kann sie die sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen der Herrschaft ausrenken. Sie kann Wege öffnen zur Subversion der Gesellschaft. Diese Kritik kann natürlich nicht nur auf der Ebene
der Theorie entwickelt werden. Sich nicht am direkten Konflikt mit der Gesellschaft zu beteiligen bedeutet, sich selbst die notwendigen Erfahrungen vorzuenthalten, mithilfe derer die Dynamiken von Vereinnahmung und Repression erst zu verstehen sind. Sie würde so stagnieren, und um dies zu verschleiern, würde sie in unverständlicher Sprache
vorgebracht. Sie würde so im schlechtesten Fall zum Werkzeug der Repression und Vereinnahmung werden, in den Händen der Macht. Die Dynamik zwischen kritischer Aktion und Analyse ist eine Lebendige. Sie soll vermeiden, dass während andere spezifische Machtstrukturen demystifiziert werden, andere Formen der Autorität wiederum mystifiziert
werden und neuen Kreisläufen von Repression und Unterdrückung der Boden bereitet wird.
Die Repression gegen AnarchistInnen hat nie gewartet, bis es eine anarchistische Bewegung gab die groß genug wäre eine Armee, Guerilla, eine Gegenmacht zu stellen, um die Macht gewaltvoll anzugehen. Sie hat erkannt, dass die Stärke der Anarchie nicht in der Menge der mobilisierbaren SoldatInnen oder Ressourcen liegt, sondern in den subversiven Ideen und den Taten, die sie hervorbringen kann. Jeden Repressionsschlag darauf zurückzuführen, dass die Repressionsorgane eine wachsende Bedrohung in den betroffenen AnarchistInnen sehen, wäre voreilig – und manchmal eine Fehlannahme bezüglich der Möglichkeiten der AnarchistInnen und/oder der Polizei. Andere Motive mögen relevanter erscheinen – um die Produktivität der Polizei zu zeigen (und ihre eigene Existenz und ihren Ausbau zu legitimieren), um ein Spektakel der Krise zu erzeugen (um z.B. politische Entscheidungen als unabwendbar erscheinen zu lassen), um ein Exempel zu statuieren (um RebellInnen abzuschrecken)…
Aber die Macht wird anarchistische Angriffe auf die sozialen Beziehungen, die sie zum Existieren braucht, niemals tolerieren. AnarchistIn zu sein oder nicht war nie die zentrale Frage, weil eine radikale Kritik der Autorität in keine Identität oder Adjektive gepresst werden kann. Sie ist eine nie endende Dynamik der Praxis und Theorie einer Kritik, deren Ziel die Subversion der Gesellschaft ist. AnarchistInnen und anarchistische Kämpfe können sich dieser Dynamik
nicht entziehen. Diese Publikation wurde als Werkzeug eben hierfür geboren – Raum für Gedanken zu Möglichkeiten,
die anarchistische Kritik zu einer potenziell subversiven Kritik zu machen, sie eintauchen zu lassen in eine Dynamik von Analyse und Aktionen. Die Projekte des Kampfes (oder die Interventionen von AnarchistInnen in Kämpfen) sind die Erfahrungen, die wir miteinander teilen sollten, um zu verstehen und zu reflektieren.
Die Texte, die auf dieser Basis entstanden sind, sind die Beiträge, die wir für eine Korrespondenz, die eine anarchistische, radikale Kritik der Gesellschaft bestärken, für notwendig halten.
Inhalt:
Mexiko – Rekuperateure des Bestehenden
Mexiko – Wählt sie nicht rein, schmeißt sie raus!
Mexiko – Zu anarchistischem Internationalismus
Chile – Umweltzerstörung und die Konfrontation mit der Macht. Den Feind durch die Propagierung seiner Zerstörung bloßstellen
Spanien – Brief über die kürzlichen Verhaftungen und Inhaftierungen während der „Operation Piñata“ an die Anarchisten und antiautoritären Gefährten
Spanien – Halluzinationen, Einschüchterung und Kontrolle
Spanien – Der Hashtag-Effekt
Deutschland – Denkanstöße und Diskussionsvorschläge zur möglichen Entwicklung von Projekt(en) und Bewegung(en)
Belgien – Feuer dem Maxi-Gefängnis!
Griechenland – Reflexionen über den Hungerstreik gegen die C-Typ Knäste
Europa – Vorschlag für eine internationale Debatte betreffend der repressiven Restrukturierung
Für Kontakt oder um die „Avalanche“ geschickt zu bekommen, schreibt an: avalanche-de@riseup.net
Avalanche.noblogs.org